Tristesse und Traurigkeit

Die Probleme in der Ukraine überschatten das Champions-League-Spiel zwischen Dynamo Kiew und Manchester City

  • Frank Hellmann und Oleg Furmin, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.
Dynamo Kiew will den Ukrainern mit einem Sieg Freude schenken. Der Konflikt mit Russland, die schlechte wirtschaftliche Situation und die eigenen Fans machen das schwer.

Es gibt Tage, da taugt nicht einmal die schönste Nebensache der Welt zur Ablenkung. Obwohl am Mittwoch der Champions-League-Zirkus in der ukrainischen Hauptstadt Kiew Station macht und das Achtelfinalduell zwischen Dynamo Kiew und Manchester City ansteht, haben die meisten der drei Millionen Einwohner schlicht andere Sorgen. Denn die Metropole kann sich kaum aus dem Klammergriff von Tristesse und Traurigkeit befreien. Die Gedenkveranstaltungen zum »Tag der himmlischen Hundert« - so viele Menschen wurden vor zwei Jahren beim Aufstand gegen den damaligen Machthaber Viktor Janukowitsch getötet - brachten am Wochenende Zehntausende auf die Straße.

Allein am Vormittag des 20. Februar 2014 waren 70 Menschen auf dem Unabhängigkeitsplatz erschossen worden. Täter und Hintermänner sind noch immer nicht bekannt. Der Regierung von Präsident Petro Poroschenko wird Vertuschung vorgeworfen. Jetzt besetzten Militante nahe dem Maidan ein Hotel und bauten Militärzelte auf. Darunter viele Soldaten, die in der Ost-Ukraine gekämpft haben und sich verraten fühlen.

Der nicht gelöste Russland-Konflikt überwölbt das alltägliche Leben. »Das ist leider ein sehr schwieriger Punkt in unserer Geschichte«, räumte Dynamo-Trainer Sergey Rebrov ein, »nicht nur ich oder meine Eltern, die ich aus der Ost-Ukraine holte, sondern das ganze Land leidet.« Er glaubt, dass es heute um viel mehr als nur ein Spiel gehe. »Jeder unserer Siege, vor allem in der Champions League, brachte Millionen von Menschen Freude.«

Doch das zur EM 2012 aufwendig umgebaute Olympiastadion wird nicht ausverkauft sein. Es gibt in dem Oval mit seinen 70 000 Schalensitzen noch Plätze in fast allen Kategorien, die Preise variieren von 150 bis 2000 Griwna. Umgerechnet sind das fünf bis 67 Euro - vor zwei Jahren stand der Kurs noch bei 1:13. Die rasante wirtschaftliche Talfahrt fällt wie das aufgeladene politische Klima und die angespannte gesellschaftliche Lage auf die Aushängeschilder des ukrainischen Fußballs zurück.

Das vom zwielichtigen Präsidenten Igor Surkis geführte Dynamo Kiew kann nicht verhindern, dass wichtige Spieler abwandern. Vor allem der drohende Weggang von Starstürmer Andrej Jarmolenko würde den Klub hart treffen. Angeblich lagen für den torgefährlichen Flügelmann schon wahnwitzige Gebote aus China vor. Den 26-Jährigen über den Sommer hinaus zu halten, wird ein Ding der Unmöglichkeit. Auch potente englische Vereine sollen bereits um Jarmolenko werben - gelungene Aktionen gegen City würden daher unweigerlich zur Wertsteigerung beitragen.

Zuerst geht es allerdings für Dynamo Kiew, das erst am 5. März wieder in den Ligabetrieb einsteigt, um etwas anderes: Ein Teil der nationalistisch geprägten Fans fiel immer wieder durch rassistische Äußerungen auf. Vor allem die Ultragruppe »White Boys« gilt als ausgesprochen radikal. Beim Gruppenspiel gegen den FC Chelsea am 20. Oktober erreichten die Auswüchse auf den Rängen eine neue Dimension, so dass die UEFA verordnete, zwei Heimspiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszutragen. Anfang dieses Monats reduzierte die in dieser Frage mal wieder wenig konsequente Dachorganisation die Sperre plötzlich auf ein Spiel - und die hatte Kiew schon gegen Maccabi Tel Aviv am 9. Dezember verbüßt.

Nun hat der Klub ein Maßnahmenpaket veröffentlicht. Darin werden die Zuschauer eindringlich aufgefordert, »bleibt während des Spiels auf euren Plätzen, steht nicht in den Gängen herum.« Sicherheitschef Andrej Madzianowski sagte, man werde dieses Mal keinerlei Ausnahmen dulden. Fahnen und Plakate mit diskriminierendem Inhalt sollen vor den Eingängen aussortiert werden.

Vorkehrungen hat derweil auch der Gast von der Insel getroffen, der bereits am Montag in Kiew eintraf und sein Quartier in der historischen Altstadt bezog. Das futuristische Gebäude liegt zwischen Sophienkathedrale und St. Michaelskloster. Gleichwohl habe die englische Delegation vorsorglich alle Lebensmittel und Getränke von zu Hause mitgebracht, heißt es in ukrainischen Medien. Die Nobelherberge stelle lediglich 80 Kilogramm Eiswürfel. Damit ließe sich wohl auch der Rest Vorfreude auf einen ungemütlichen Champions-League-Abend einfrieren.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal