Proteste gegen Verdrängung in Berlin

Baustadtrat vertröstet Anwohner / Lokale Initiativen veranstalten Kundgebung gegen Gentrifizierung in Neukölln

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 3 Min.
Proteste gegen soziale Verdrängung begleiteten die öffentliche Anwohnerfragestunde in der Bezirksverordnetenversammlung im Rathaus Neukölln.

Trotz der Kälte versammelten sich am Mittwochabend zahlreiche Aktivisten mit Plakaten zu einer Kundgebung zum Thema Verdrängung vor dem Rathaus Neukölln. Unter strenger Beobachtung von Polizei und Ordnungsamt hielten die etwa 150 Demonstranten ihre bemalten Transparente hoch und wurden von den Beamten immer wieder zurück vor die Rathaustreppe verwiesen.

Unter den Teilnehmern waren Unterstützer und Bewohner des räumungsbedrohten Wagenplatzes »Kanal«, auf dessen Grundstück eine modulare Flüchtlingsunterkunft errichtet werden soll. Außerdem waren die Bewohner der Friedelstraße 54 und Unterstützer des zugehörigen Kiezladens vor Ort, die seit geraumer Zeit gegen Duldungsklagen ihres Eigentümers kämpfen. Ebenfalls mit dabei waren die Aktivisten der Mieterinitiative »Die Emserianer« aus dem Schillerkiez, die verhindern wollen, dass ihre Wohnungen in der Emserstraße Spekulanten zum Opfer fallen. »Auch wenn wir unsere Straße vielleicht nicht retten können, hoffen wir, dass wir den Wandel im Schillerkiez zumindest verzögern können«, sagte ein Mitglied der Initiative dem »nd«.

Für den Schillerkiez gibt es, genau wie für den Reuterkiez, seit dem vergangenen Jahr eine Milieuschutzverordnung, die eine Verdrängung aus den stark von Gentrifizierung bedrohten Wohngebieten verhindern soll. »Die Verordnung wurde jedoch bisher nicht praktisch umgesetzt«, beschwert sich die Sprecherin der Emserianer. Bei der öffentlichen Anwohnerfragestunde der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) erklärt Baustadtrat Thomas Blesing (SPD), dies liege daran, dass das erforderliche Personal noch nicht vorhanden sei. Das Bewerberverfahren laufe aber bereits und sei frühstens bis zum 1. April abgeschlossen. Zu einer vorab dem Bezirksamt vorgelegten Liste der Mieterinitiative über etwa 18 000 Quadratmeter Leerstand im Schillerkiez sagte Blesing: »Die meisten der von Ihnen genannten Objekte, in denen Wohnungen leer stehen sollen, sind dem Bezirksamt bislang nicht bekannt.« Ohnehin sei die Prüfung leerstehender Wohnräume ein »sehr zeitaufwendiges Verfahren«. Ähnlich vertröstende Antworten des Stadtrates erhielt ein Bewohner der Friedelstraße: »Die Milieuschutzverordnung kann keinen direkten Einfluss auf Miethöhen nehmen«, erklärt Blesing.

Auf die Frage, ob das Bezirksamt denn gewillt sei, den Eigentümer des Hauses zu einem Runden Tisch zu bitten, sieht Blesing die Möglichkeiten des Bezirksamtes überschätzt. »Wir sind für Mietangelegenheiten nicht originär zuständig.« Die Bewohner sollten sich mit ihren Anliegen doch lieber an den Mieterbund wenden.

Matthias Sander, Pressesprecher des Kiezladens in der Friedelstraße 54, reagiert empört: »Dass der Fragensteller die Möglichkeiten der BVV überschätze, obwohl es faktisch nur um eine formale Einladung geht, lässt die Frage offen, welchen Sinn eine selbsterklärte Vertretung der Bewohner eines Bezirks dann noch hat.« Der Stadtrat drücke sich hier vor der Verantwortung. »Dem Mieter eines Hauses, in dem seit über anderthalb Jahren ein sich stetig eskalierender Konflikt mit den Eigentümern stattfindet, dann noch zu raten, er solle doch einfach mal eine Mieterberatung aufsuchen, ist eine absolute Frechheit«, so Sander weiter.

Das Aufgebot an Polizei, das sich verstärkt vor und im Rathaus positionierte, kritisiert Sander ebenfalls: »Öffentliche Sitzungen sollen Bürgern eine niedrigschwellige Möglichkeit bieten, sich über das Handeln der lokalen Regierung zu informieren.« Ein solches Polizeiaufgebot vermittle jedoch kein Gefühl von Bürgernähe. Etwas Positives hat die Sache aus Sicht der Aktivisten aber: »Durch die Kundgebung konnten wir viele Menschen erreichen und auf unsere Situation aufmerksam machen.«

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