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Geschichten und Bekenntnisse

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat sich lange auf ihren Wahlkampf vorbereitet - auch als Autorin

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit »Gelassenheit, Umsicht und Unaufgeregtheit« werde man sich den inhaltlichen Themen widmen, hat Malu Dreyer auf ihrer Wahlkampftour ein ums andere Mal manch besorgten Blick ihrer Anhänger ob der aktuellen Umfragewerte für die SPD in Rheinland-Pfalz gekontert. Und wird es vermutlich auch bei den noch vor ihr stehenden mehr als ein Dutzend Landauf-Landab-Terminen ihrer Werbereise »Zuhause unterwegs« bis zum 13. März mehrmals wiederholen.

Wer das Buch der amtierenden Mainzer Regierungschefin gelesen hat, kann sich darüber nicht wundern. Gelassenheit, Umsicht und Unaufgeregtheit - das scheint tatsächlich zum Credo der 55-Jährigen zu gehören. Und mag der Amtsnachfolgerin des einstigen Landesvaters Kurt Beck, die sich in wenigen Tagen als Frau an der Spitze der Landesregierung erstmals der direkten Wahl stellen muss, seit ihrer Inthronisation Anfang 2013 oft bei schwierigen landespolitischen Entscheidungen geholfen haben. Als Empfehlung für eine spannende Lektüre wären die drei Schlagworte allerdings weniger geeignet.

Doch auch der von Dreyer und ihrem Co-Autor Hajo Schumacher gewählte Buchtitel »Die Zukunft ist meine Freundin« und erst recht der Zusatz »Wie eine menschliche und ehrliche Politik gelingt«, laden nicht gerade zum Lesen ein. Dabei gibt es auf den 300 Seiten durchaus Interessantes zu entdecken. Nicht nur, weil Dreyer gleich zu Beginn eine Hommage an Bob Dylan formuliert, und auch Nelson Mandela und freilich vor allem Willy Brandt ihre »Liebeserklärungen« abbekommen. Und auch nicht nur, weil ihr heutiges Leben im generationenübergreifenden Wohnprojekt Schlammatdorf noch längst nicht die Norm in einem Politikerdasein darstellt.

Da ist das Leben in der Provinz der 60er Jahre mit den »arrangierten Ehen« beschrieben, die lustigen Weinlesen in Neustadt an der Weinstraße, das Austauschschülerjahr in den USA, die Neugier, Lebenslust und Sportbegeisterung der Studentin, die offenbar immer unterwegs war, »um die Welt zu retten«. Da werden Erfahrungen mit Akkordarbeitern am Band, ihre Schwächen in Geografie und ihre Stärken im Schmieden von Kompromissen zum Thema - kurz auch die Zwischenetappen als Jugendstaatsanwältin, Bürgermeisterin oder Ministerin geschildert.

Wohl nicht von ungefähr taucht der Vater von Maria-Luise gleich mehrfach auf, den die überzeugte Feministin als »modernen Patriarchen« bezeichnet - ein Kreisvorsitzender der CDU, dem schon auch mal zu Hause die Hand ausgerutscht ist, der seiner Tochter aber keine Steine in den Weg legte, als sie sich für die andere damals noch große Partei entschied. »Die Utopie der Konservativen«, so urteilt Dreyer, »ist nun mal die Nostalgie«. Moderne Politik dagegen heiße die Zukunft willkommen.

Besonders bewegend freilich ist die Schilderung der Erkrankung der Politikerin an Multiple Sklerose. Die hat zwar - anfänglich nur vertraulich Kurt Beck bekanntgemacht - manches in ihrem Leben bis hin zu Phasen im Rollstuhl geändert, Dreyer aber nach anfänglichem großen Kummer wieder zu der ihr eigenen Gelassenheit, Umsicht und Unaufgeregtheit bis hin zum Coming out 2006 zurückfinden lassen. Beweis gefällig? Zitat: »Bin ich krank? Mag sein. Aber ich fühle mich nicht so. Bin ich eingeschränkt? Oh ja. Aber das ist kein Problem. Ich könnte keinen Fünftausender erklimmen. Aber das könnte Sigmar Gabriel auch nicht.«

Nicht nur der Seitenhieb auf die Körperfülle des SPD-Vorsitzenden ist originell. All die persönlichen Episoden sind spannend erzählt, nachvollziehbar, streckenweise berührend. Was aber die Botschaften der Malu Dreyer betrifft, kann man das nicht sagen. Sie erscheinen bisweilen so blutleer, wie die meisten Parteitagsreden der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin. Und zwar egal, ob sie Dreyers Selbstverständnis als Sozialdemokratin oder Regierungschefin betreffen.

Da ist die der Gerechtigkeit und Chancengleichheit verpflichtete Familie SPD, dort das im Prinzip in den meisten Bereichen auf gutem Wege befindliche Rheinland-Pfalz. Gute Arbeit, Wirtschaft, Digitalisierung, Bildung, Einwanderung - der Streifzug durch die politischen Herausforderungen der verschiedensten Art erscheint im besten Falle gut gemeint. Nur bei den Themen Inklusion, Gesundheit und Gleichstellung wird er ob der eingeflochtenen eigenen Erfahrungen lebendig. Auffällig sind auch die Aussparungen: Dass sie ihre immer lauter werdende Konkurrentin Julia Klöckner von der CDU mit Nichtbefassung straft, kann noch als durchaus gewollt verstanden werden. Aber Malu Dreyer setzt sich auch nicht wirklich mit ihrem Vorgänger und Gönner Kurt Beck auseinander, der ihr ja - Stichwort Nürburgring - nicht nur ein gut bestelltes Feld hinterlassen hat. Zudem kann die lange Zeit als links geltende Sozialdemokratin an ihrer Partei oder deren Führungspersonal - bis auf die vorsichtig formulierte anfängliche Ungleichgewichtung von Fordern und Fördern bei der Schröderschen »Reformpolitik« - viel Kritikwürdiges finden.

Oder doch? »Wer aber ständig nach den meistdiskutierten Themen lugt, sich in jeder Debatte mit dem ersten naheliegenden Gedanken zu Wort meldet und seine Meinung ständig ändert, wird nach einer Weile als sprunghaft, als unberechenbar, als wenig verlässlich wahrgenommen«, schreibt Dreyer - ohne Ross und Reiter zu benennen. Aber zu fürchten steht, dass der erfahrenen und gut beobachtenden Politikerin bei diesem Gedanken wirklich nicht allein ihr Parteichef gegenwärtig war.

Natürlich wurde das Buch im Hinblick auf die Landtagswahlen gemacht. Aber zu einer Zeit, da vom heftigen Streit um TV-Formate mit oder ohne AfD noch keiner wissen konnte und auch die gelassene, umsichtige und unaufgeregte Malu Dreyer sich beim besten Willen keine CDU-Attacke unterhalb der Gürtellinie vorstellen konnte, die auf ihre Erkrankung zielt. Das alles hat die Ministerpräsidentin erst in der heißen Wahlkampfphase des ersten »Frauenduells« um das Amt der Ministerpräsidentin erfahren müssen.

Ob ihr manchmal in dieser Zeit doch ein bisschen ihr Optimismus abhanden kam, werden wir nicht erfahren. Wohl aber, ob die Zukunft auch nach dem 13. März ihre Freundin bleibt.

Malu Dreyer: Die Zukunft ist meine Freundin: Wie eine menschliche und ehrliche Politik gelingt. Quadriga/Bastei Lübbe, München. 303 S., geb., 22 €.

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