- Kultur
- True Crime
Podcast »Crime Analyst«: Das fehlende Wort
Früher war sie bei Scotland Yard. Heute kämpft Laura Richards mit ihrem Podcast gegen häusliche Gewalt
Dieser Text handelt von häuslicher Gewalt und Gewalt in der Partnerschaft. Weitere Informationen zum Thema finden Sie im Internet unter hilfetelefon.de. Das Hilfetelefon für Betroffene ist jederzeit erreichbar unter 116 016.
Zum Beispiel David Challen. David Challen ist in der Episode Nr. 261 bei Laura Richards zu Gast, in ihrem Podcast »Crime Analyst«, dieses Mal gibt es sogar auch ein Saalpublikum, und so erzählt David Challen also vor zahlenden Zuschauern, warum seine Mutter seinen Vater getötet hat, mit über zwanzig Hammerschlägen auf den Schädel.
Wenn Gewalt zur Sprache kommt, ist es oft schon lange zu spät. Eine ihrer perfiden Eigenschaften ist, dass sie um sich herum ein Schweigen, eine Sprachlosigkeit erzeugt, ein Wegschauen, Wegdenken und Nichtwissenwollen. Mobbing in deiner Firma? Ach, das war doch alles nur Spaß. Schreie in der Wohnung im ersten Stock? Ach, die beruhigen sich schon wieder. Bisher haben die sich immer beruhigt. Wenn Gewalt endlich thematisiert wird, hat sie sich oft schon zur Monstrosität ausgewachsen, manchmal erreicht sie uns dann in Form von Zeitungsschlagzeilen.
So ist es wichtig, die Gemeinheit, die Gewalt so früh wie möglich zur Sprache zu bringen. Das Fiese daran: Oft ist noch nicht einmal die Sprache dafür erfunden. Oft kann die Gewalt im Schatten gedeihen, weil die Gesellschaft noch nicht einmal ein Wort dafür hat: Was nie benannt worden ist, kann auch nicht angeklagt werden. Als Gast in Laura Richards’ Podcast erklärt David Challen es so: Die Gewalt, in der er aufwuchs, war weitgehend eben nicht körperliche Gewalt. Als Kind hatte er eine vage Vorstellung davon, dass zwischen seinen Eltern etwas nicht in Ordnung war, jedoch habe ihm die Sprache dafür gefehlt, das Wort »abuse«, also Missbrauch, wäre ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Ja, körperliche Gewalt gab es. Aber vielleicht noch entscheidender war, dass seine Mutter über Jahrzehnte isoliert, eingeengt und erniedrigt wurde durch vieltausendfache Einschränkungen und Demütigungen. Auch Sally Challen selbst, die Mutter, hatte sich auch bemüht, es nicht zu verbalisieren, hatte sich bemüht, ihren Söhnen das Gefühl einer Normalität zu geben.
Wo beginnt Gewalt? Hinterlassen Schläge tiefere Narben als böse Worte? Kann das seelische Einschnüren und Ersticken eines Menschen über Jahre nicht ebenso verheerend sein wie die Drohung mit dem Messer? Die Gewalt geht oft stille Wege. Und bevor man darüber nachdenken kann, was eine Gesellschaft tolerieren und was sie bestrafen muss – braucht sie überhaupt eine Sprache für die Gewalt.
Laura Richards’ Podcast »Crime Analyst« (crime-analyst.com) müsste eigentlich der schlechteste Podcast der Welt sein. Denn Laura Richards hat eine Mission. Und wenn wir eines über Journalismus wissen und wenn wir eines über gute Unterhaltung wissen: Missionare sind für gewöhnlich für beide das Ende. Laura Richards ist Expertin für Beziehungsgewalt, und der Podcast ist nur eines der Mittel, mit denen sie ihr Anliegen promotet. Viele Jahre war sie als Analystin und Abteilungsleiterin bei Scotland Yard tätig und arbeitete erfolgreich daran, die Prävention von Gewaltverbrechen zu verbessern. In dieser Zeit lernte sie nicht nur die dunklen Seiten der Gesellschaft kennen, in der Polizeibehörde wurde sie auch gut bekannt mit dem Machismo, der viele Formen von Gewalt nicht wahrhaben will oder kann.
Jetzt kämpft sie ihren Kampf als Aktivistin: Als Gast glänzt sie auf vielen Youtube-Kanälen, als Gastgeberin besticht sie mit einer seltenen Mischung aus Empathie und analytischer Power. Über True Crime kann sie mit höchster Kompetenz sprechen, da sie Tausende Fälle selber bearbeitet hat. Richards packt ihr Publikum an der Sensationslust und nutzt das geweckte Interesse, um die Menschen klüger und sensibler zu machen. Auch arbeitet sie daran, dass das Unglück zur Sprache wird und die Sprache zu Gesetzen.
Ein Wendepunkt in ihrem Leben war der Fall von Clare Bernal, einem Stalkingopfer, das Hilfe bei der Polizei suchte und nicht fand. In der polizeilichen Wahrnehmung war Stalking ein Kavaliersdelikt (»Er liebt sie halt!«), selbst als Bernal eines Tages die Bremsen ihres Autos zerstört fand und es der Polizei meldete, gab es keinen Alarm-Automatismus der Behörde. Tage später war Clare Bernal tot, erschossen von ihrem Stalker. Laura Richards, damals noch bei Scotland Yard, erkannte aus ihren Zahlen, dass Stalking ein erheblicher Risikofaktor für Morde ist, eine Tatsache, die bis dahin nicht beachtet worden war.
Zuletzt erklärte sie uns das Horror-Privatleben des Musikproduzenten Sean Combs alias Diddy – und es ist vielleicht kein Zufall, dass man Combs immer mit seinem Abklatsch von »Every Breath You Take« im Ohr hat, einem Song, der aus der Sicht eines Stalkers geschrieben ist (und aus unerfindlichen Gründen oft für das ultimative Liebeslied gehalten wird). Die Causa Combs macht einen Begriff fassbar, den Laura Richards im Bewusstsein der Welt verankern will: »Coercive Control«, auf Deutsch nebulös übersetzt als »Zwangskontrolle«. Diese Form von Gewalt wird oft als solche übersehen: Ein Mensch bringt einen anderen Menschen komplett unter seine Kontrolle, meist im Rahmen einer Liebesbeziehung. Mit Charme, Romantik und heißen Liebesschwüren fängt es an, und schon diese Lovebombing-Phase wird genutzt, um alle Schwachpunkte des Opfers in Erfahrung zu bringen. Dann folgen, nach und nach, soziale Isolation, Abhängigmachen, immer regelmäßigere Demütigungen und Entwertungen, Gaslighting. Bis das Opfer das Gefühl für seinen Selbstwert und teils für die Realität verliert und dem Täter wehrlos ausgeliefert ist.
Es braucht keinen Pop-Superstar, um Coercive Control auszuüben. Die gefährlichen Narzissten und die gutgläubigen Opfer bevölkern unsere Welt. David Challens Mutter war eines von ihnen, sein Vater ein charismatischer und skrupelloser Mann. Sally war noch ein junges Mädchen, als sie sich auf ihn einließ, sie war eine offene, umgängliche Person, und sie wurde von Richard Challen aus ihren sozialen Zusammenhängen isoliert, über Jahrzehnte immer kleiner und kleiner gemacht, gedemütigt, entwürdigt, betrogen, vergewaltigt. Eines Tages versuchte sie, sich freizumachen vom Täter. Er brachte sie wieder unter seine Kontrolle. Dann ließ er sie Verträge unterzeichnen: Dass sie nicht mehr rauche. Nicht mehr trinke. Dass sie ihm nicht mehr widerspreche. Sally Challen saß in der Falle. Kurze Zeit später griff sie zum Hammer.
»Missbrauch«, sagt David Challen, früher wäre er niemals darauf gekommen, das Verhältnis zwischen seinen Eltern so zu nennen. Aktivistinnen wie Laura Richards haben für ihn und viele andere das Sprechen erst möglich gemacht. Nach langen Jahren des Lobbyings führten England und Wales 2014 das vermisste Wort in ihre Gesetzgebung ein: »Coercive Control« ist seitdem als eine Form häuslicher Gewalt strafbar. David Challen hat mittlerweile ein Buch geschrieben, in dem er die Geschichte seiner Eltern und seine eigene verarbeitet hat. Jetzt sitzt er mit Laura Richards vor einem Publikum und spricht über das Martyrium seiner Mutter und auch sein eigenes Leiden. Es ist nur eine Episode eines super spannenden Podcasts. Expertinnen und Experten kommen hier zu Wort, Betroffene, Hinterbliebene. Es scheint, dass sie gerne da sind, weil sie wissen, dass sie bei Laura Richards gehört und verstanden werden. Über 260 Folgen von »Crime Analyst« gibt es, sie berühren besser und informieren tiefer als irgendein Krimi.
263 Folgen sind verfügbar auf crime-analyst.com und überall, wo es Podcasts gibt.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.