Weise will die Million schaffen

Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge formuliert ehrgeizige Ziele

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Innerhalb von nur zwei Jahren will das Bundesamt die Zahl seiner Asylentscheidungen fast verzehnfachen. Der Mitarbeiterbestand soll aber nur verdoppelt werden.

»Wir gehen davon aus, dass 300 000 bis 400 000 Flüchtlinge im Land sind, die noch keinen Antrag gestellt haben. Dazu kommen 370 000 Altfälle, über die noch entschieden werden muss«. Was der Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Frank-Jürgen Weise am Donnerstag der »Passauer Neue Presse« sagte, sollte in Berlin die Alarmglocken schrillen lassen. Zumal Weise einräumte, dass er gar nicht genau wisse, wie viele Geflüchtete noch keinen Antrag gestellt haben. Weise, der in Personalunion auch die Bundesagentur für Arbeit leitet, will in diesem Jahr mehr als eine Million Verfahren von Flüchtlingen abschließen. Dazu sei das Amt personell in der Lage, so der Behördenleiter. Allerdings werde der Rückstand erst einmal noch wachsen.

Weises Rechnung setzt sich wie folgt zusammen: Zu den bis zu 400 000 Anträgen, die noch gestellt werden müssen, kommen noch 370 000 Altfälle, die noch bearbeitet werden müssten. Trotzdem habe seine Behörde Kapazitäten, 500 000 neue Fälle zu entscheiden, glaubt Weise. Wie ehrgeizig diese Zielvorgabe ist, zeigt sich beim Blick auf die Zahlen der Vorjahre. 2014 etwa wurden etwas weniger als 129 000 Anträge abschließend bearbeitet. Im vergangenen Jahr seien es 282 000 gewesen, so ein BAMF-Sprecher gegenüber »nd«. Innerhalb von zwei Jahren will die Behörde ihr Arbeitstempo fast verzehnfachen. Woher Weise seinen Optimismus nimmt, wurde im Interview nicht deutlich. Sicher scheint nur, dass Sorgfalt nicht das entscheidende Kriterium bei der Behandlung der Fälle sein wird. Schon jetzt beklagen Mitarbeiter die Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien bei den beschleunigten Asylverfahren. Die »massenhafte Entscheidungspraxis« habe »systemische Mängel«, schrieben die Personalräte Ende November in einem offenen Brief an Weise. Neben dem Verzicht auf eine Identitätsprüfung bei Geflüchteten, die sich oft eine Legende zurechtlegten, bemängelte der Personalrat die viel zu schnelle Ausbildung der neuen Entscheider. Diese müssten nach nur wenigen Tagen »massenhaft Bescheide« erstellen.

Tatsächlich erfolgen die Schulungen der Entscheider derzeit im Schnelldurchlauf. Auf »nd«-Nachfrage bezeichnete es eine Sprecherin der Behörde als Erfolg, dass die Qualifizierung der neuen Entscheider »von 10 auf 8 Wochen« reduziert werden konnte. Die Einarbeitungszeit liege »aufgrund der dort eng umrissenen Aufgaben bei 12 Arbeitstagen«. So wird jemand, der nie mit Asylverfahren und Geflüchteten zu tun hatte, innerhalb kürzester Zeit zur Fachkraft gemacht, die über Schicksale zu befinden hat.

Diese Eile ist politisch gewollt. Denn der Mitarbeiterbestand der Nürnberger Behörde soll sich 2016 im Vergleich zum September 2015 verdoppeln. Zum Jahresende soll das BAMF über insgesamt 7300 Angestellte verfügen. Dem Personalrat geht die Aufstockung zu schnell. Das Gremium geht nun gerichtlich gegen die beschleunigten Einstellungen vor. So seien 750 neue Mitarbeiter verpflichtet worden, ohne die Mitbestimmungsrechte des Personalrates zu beachten. Zudem fürchtet die Arbeitnehmervertretung, dass die Neuen nicht genügend qualifiziert sind, um über Asylanträge zu entscheiden. Mal sehen, ob am Jahresende tatsächlich 7300 Menschen für die Behörde tätig sein werden.

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