Alles spielt nach sächsischem Takt
Im vogtländischen »Musikwinkel« hat Instrumentenbau viel Tradition - etwa bei der Perkussionsfirma Rohema
Markneukirchen. Als sich die Tür des Familienunternehmens Rohema öffnet, wird es laut und staubig. Eine Maschine frisst sich durch wertvolles Hickoryholz, ein nordamerikanisches Walnussgewächs. Aus einem unscheinbaren Rundstab wird im Bruchteil einer Sekunde ein konisch zulaufender Trommelstock. Dessen Kopf aber, der über den Klang entscheidet, muss per Hand gefräst werden - mit Fingerspitzengefühl. Eine Etage höher ist sogar die ganze Hand gefordert. Seniorchef Matthias Hellinger sitzt vor Dutzenden Taktstöcken. Der 59-Jährige hält jedes Modell in seiner Hand, ganz so wie es ein Dirigent: »Der Taktstock muss genau ausbalanciert sein, sonst verliert man ihn zu leicht.« Der Schwerpunkt liegt kurz hinter dem Griff.
Europas einzige Taktstockmanufaktur hat mehr als 70 Modelle im Angebot - von »Mozart«, »Bach« oder »Schubert« bis zum Topmodell »Maestro« aus weißem Karbon mit schwarzem Ebenholzgriff. Rund 25 000 Taktstöcke zum Preis von vier bis 40 Euro schickt die Firma mit 19 Mitarbeitern jährlich in alle Welt, bis nach Japan oder in die USA. Der Stardirigent Daniel Barenboim etwa schwört auf Rohema, allerdings nicht auf den »Maestro«, wie vielleicht zu vermuten wäre, sondern auf den schlichten »Strauß«. Allerdings lasse er sich seine Stöcke um zwei Zentimeter kürzen.
Ihr Wissen haben sich die Hellingers selbst angeeignet. »Einen Ausbildungsberuf gibt es nicht«, sagt Maik Hellinger, der neben der Werkstatt aufgewachsen ist. Er führt mit Cousin Tobias in fünfter Generation den Familienbetrieb, den es seit 128 Jahren gibt. Selbst musikalisch ist die Familie nicht. Das hinderte schon Gründer Robert Eduard Hellinger 1888 nicht, seine Drechslerei auf Musikstöcke umzustellen.
Seit 300 Jahren werden in Markneukirchen und Umgebung Instrumente gebaut, weiß Professor Andreas Michel von der Westsächsischen Hochschule Zwickau, die im »Musikwinkel« Instrumentenbauer ausgebildet. Im späten 19. Jahrhundert stammten laut Michel fast 80 Prozent der deutschen Musikinstrumente von hier. Zu DDR-Zeiten beschäftigten Kombinate bis zu 12 000 Menschen. Heute seien es noch rund 1200 in mehr als 100 kleinen Betrieben. Der Instrumentenbau erwirtschaftet laut Branchenverband SOMM etwa ein Fünftel der zehn Milliarden Euro, die die Musikwirtschaft umsetzt; knapp neun Prozent dieses Anteils entfallen auf Schlagwerk und Percussion.
Rund 400 000 Artikel produzierte Rohema im vergangenen Jahr, darunter mehr als 200 verschiedene Trommelstockmodelle, Dutzende unterschiedliche Schlägel und eine Vielzahl von Percussioninstrumenten sowie ein Kindersortiment. Die prestigeträchtigen Taktstöcke machen nur etwa fünf Prozent des Umsatzes von etwa einer Million Euro aus. Rohema ist in seinem Segment der führende deutsche Anbieter im Pop- und Rock, sagt Chefredakteur Axel Mikolajczak vom Fachmagazin »Sticks«. Heuer will die Firma allein 80 000 Trommelstöcke produzieren.
Wie viele davon an Bela B. gehen, kann Maik Hellinger nicht auf Anhieb sagen. Der Schlagzeuger der Berliner »Ärzte« ist ein Rohema-Werbeträger der Firma. Vor zwei Jahren ließ Hellinger ihm mit einer Sendung einen Flaschenöffner mit Trommelstockgriff zukommen. Der Plan führte zum bislang größten Einzelauftrag: Die Band bestellte Flaschenöffner für 30 000 Euro und legte sie einem Livealbum bei. dpa/nd
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