AfD: »Getroffene Hunde bellen«

In Thüringen kommen Verfassungsfeinde nicht leicht in die Justiz – zum Ärger der AfD

Christian Klein (CDU) nach der Urteilsverkündung in einem Normenkontrollverfahren am Thüringer Verfassungsgerichtshof
Christian Klein (CDU) nach der Urteilsverkündung in einem Normenkontrollverfahren am Thüringer Verfassungsgerichtshof

Es beginnt noch im Gerichtssaal, nur Minuten, nachdem die Thüringer AfD-Landtagsfraktion im Streit um die Juristenausbildung im Land mal wieder eine Niederlage vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaats erlitten hat.

Nicht immer ist das so. Die obersten Richter Thüringens hatten zum Beispiel auf Antrag der AfD im Sommer 2020 das von Rot-Rot-Grün beschlossene Paritätsgesetz gekippt, das zu mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in der Politik führen sollte. Damit hatte die AfD dem Bündnis aus Linken, SPD und Grünen seine wohl empfindlichste juristische Niederlage beigebracht; nicht gänzlich unerwartet, immerhin war das Gesetz schon vor seiner Verabschiedung unter Juristen ziemlich umstritten gewesen.

Aber immer wieder scheitert die AfD eben auch mit ihrer Rechtsauffassung vor dem Verfassungsgerichtshof, so wie an diesem Tag, als der Verfassungsgerichtshof entscheidet, dass das Land Extremisten weiterhin vom juristischen Vorbereitungsdienst ausschließen darf. »Die Parteien eines Rechtsstreits haben deshalb ein Anrecht darauf, dass kein Rechtsreferendar an der Bearbeitung ihrer Angelegenheiten mitwirkt, der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung tätig ist«, sagt der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Klaus von der Weiden, zur Begründung des Urteils. Der per Gesetz vorgeschriebene Ausschluss von Extremisten vom sogenannten Referendariat sei so wichtig für die Justiz, dass er höher zu werten sei als der damit einhergehende Eingriff in die Berufsfreiheit des Einzelnen.

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Der AfD-Landtagsabgeordneten Vivien Rottstedt passt das überhaupt nicht. Das Urteil sei »ernüchternd«, sagt sie, noch im Gerichtssaal in Weimar stehend. »In meinen Augen ist das ein Schlag ins Gesicht für jeden, der sich aktiv politisch hier beteiligt.« Diese Entscheidung hätte nach ihrer Auffassung »so nicht ergehen dürfen«.

Ist sie aber. Und in Demokratien ist es eigentlich üblich, dass solche Entscheidungen dann auch akzeptiert werden, vor allem durch Abgeordnete, die als Teil der Legislative – also der gesetzgebenden Staatsgewalt – Teil des demokratischen Rechtsstaates sind, zu dem auch die Gerichte – also die Judikative – gehören. Stichwort Gewaltenteilung.

Aber was ist schon noch üblich und gewöhnlich in diesen Zeiten? Und so lässt es sich die AfD nicht nehmen, an diesem Tag anlässlich dieses Urteils noch weiter gegen die Verfassungsgerichte in Deutschland auszuteilen. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke zum Beispiel sagt, ein paar Stunden nach Rottstedt in Erfurt sitzend, er wolle dieses Urteil »vielleicht erst mal sehr grundsätzlich einordnen«. Im Rahmen dessen behauptet er dann, es werde nun der »Gesinnungsprüfung Tür und Tor geöffnet«, was zur Folge haben werde, dass es »noch mehr Schlagseite in Zukunft in der Justiz geben« werde. »Die Schlagseite ist jetzt schon erkennbar.« Ein paar Augenblicke später behauptet er dann: »Diese Gesinnungstendenz in der Justiz ist beim Bundesverfassungsgericht ganz, ganz deutlich erkennbar.« Noch ein paar Augenblicke später übersteigert er diese Behauptung nur noch durch seine Antwort auf die Frage, ob er noch Vertrauen in den Thüringer Verfassungsgerichtshof habe. »Nein.«

Indem AfD-Leute wie Rottstedt und Höcke an diesem Tag also die bei Rechtspopulisten so beliebte Mär von der angeblich politisch beeinflussten Justiz wiederholen – die immer dann angeblich politisch beeinflusst ist, wenn sie vor Gericht unterliegen, aber nie, wenn sie vor Gericht gewinnen –, unterstreichen sie nicht nur selbst, was sie vom Rechtsstaat halten. Sie unterstreichen auch, dass sie gerade beim Blick auf den Rechtsstaat völlig anders sind als alle anderen im Landtag vertretenen Parteien.

Alle anderen Vorsitzenden der im Landesparlament vertretenen Fraktionen bekräftigen nämlich unmittelbar nach dem Urteil der Verfassungsrichter zur Juristenausbildung nicht nur, dass sie das Urteil inhaltlich für richtig halten.

Auch jenseits dieser konkreten Entscheidung beteuern die Nicht-AfD-Fraktionsvorsitzenden, sie würden dem Verfassungsgericht im Speziellen und der Justiz vertrauen. »Aus unserer Sicht funktioniert die Justiz hervorragend«, sagt zum Beispiel der BSW-Fraktionsvorsitzende Frank Augsten, dessen Fraktion übrigens – anders als die AfD – noch Bewerber für das Verfassungsgericht vorschlagen konnte. »Es gibt hier überhaupt keinen Grund, da irgendetwas anzuzweifeln an den Entscheidungen, die da getroffen werden.«

Dass die AfD das doch tut, nutzt deshalb vor allem der CDU-Fraktionsvorsitzende Andreas Bühl zum rhetorischen Gegenangriff auf die AfD. Er könne gar nicht verstehen, wie die AfD auf der einen Seite ein Problem mit dem Ausschluss von Verfassungsfeinden von der Juristenausbildung haben könne, wenn sie doch regelmäßig behaupte, »dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung für sie kein Problem darstellen würde«. Die Kritik der AfD sei deshalb nur ein Ausdruck dafür, »dass es scheinbar doch ein Problem gibt«, sagt Bühl. Dann fügt er hinzu: »Getroffene Hunde bellen.«

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