Rechte führen in Magdeburg die Opposition

AfD erhält nun viele Posten und Befugnisse

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Die AfD holte 24 Prozent und gewann 15 Wahlkreise; nun sind die Rechtspopulisten im Landtag von Magdeburg Oppositionsführer.

In manchem Wahlkreis war es knapp. In Magdeburg I wurde fast bis Mitternacht gezählt, ehe feststand, dass der AfD-Mann Oliver Kirchner das Rennen um das Direktmandat gewonnen hatte. Nur 29 Stimmen lag er vor CDU-Frau Edwina Koch-Kupfer. Andernorts aber wurde die Konkurrenz von Kandidaten der rechtspopulistischen Partei regelrecht deklassiert. In Merseburg und in Weißenfels lagen die langjährigen CDU-Abgeordneten Harry Lienau und Steffen Rosmeisl jeweils mehr als acht Prozentpunkte hinter den landespolitisch völlig unbeleckten AfD-Politikern Marcus Spiegelberg und Willi Mittelstädt. Es scheint, als hätte die Partei auch mit dem sprichwörtlichen Besenstiel gewonnen.

Dass es ein Erdrutsch war, der sich am Sonntag in der Landespolitik Sachsen-Anhalts ereignet hat, belegt nicht zuletzt ein Blick auf die Wahlkreise. 43 gab es bei dieser Wahl, allein 15 holte die AfD. Nur in zweien davon lag ihr Ergebnis bei den Erststimmen unter 30 Prozent. Die CDU, die 2011 noch in 41 der damals 45 Bezirke gewonnen hatte, brachte nur 27 Abgeordnete direkt in den Landtag. Die LINKE, vor fünf Jahren noch in drei Kreisen erfolgreich, errang in Köthen einen trostreichen Erfolg, wo die beliebte Lokalpolitikerin Christina Buchheim unerwartet siegte. Die SPD, für die zuletzt Finanzminister Jens Bullerjahn das Direktmandat in Eisleben geholt hatte, ging diesmal auch in dieser Kategorie leer aus.

Manche Beobachter merkten am Wahlabend an, dass der zumindest in dieser Größenordnung völlig unerwartete AfD-Erfolg bei den Erststimmen auch gute Seiten hat. Hätte die CDU wie 2011 wesentlich mehr Direktmandate errungen, als ihr gemäß Zweistimmenergebnis an Sitzen im Landtag zusteht, wäre dieses Missverhältnis durch Ausgleichsmandate für die anderen Parteien kompensiert worden - mit der Folge, dass für die AfD noch mehr Abgeordnete im Landtag gesessen hätten als die 24, die sich aus dem Wahlergebnis von 24,2 Prozent ergeben. Allerdings gelten Direktmandate als ausgesprochen prestigeträchtig.

Dass die AfD nicht noch stärker wurde, verhinderten offenbar unter anderem die ländlich-konservativen Wähler im Norden des Landes - die der CDU die Treue hielten. Auch ihre Direktmandate holte die AfD, abgesehen von dem in Magdeburg, ausschließlich im Süden des Landes. Dort hatte, wie der Verein »Miteinander« anmerkt, vor fünf Jahren bereits die NPD ihre Hochburgen; vielerorts errangen die Rechtsextremen damals zwischen sechs und acht Prozent der Stimmen. Nur schwächere Ergebnisse im Norden verhinderten 2011 knapp den Einzug der Rechtsextremen in den Landtag.

Dort beschert der AfD nun ihre jetzige Stärke erheblichen Einfluss. Auch wenn Landeschef André Poggenburg gestern die Tolerierung einer Minderheitsregierung angeboten hat, ist absehbar, dass die landespolitisch unerfahrene Partei auf der Oppositionsbank Platz nehmen wird - und dort die LINKE als stärkste Kraft ablöst. Das hat Folgen. Die Rechtspopulisten dürften - wenn die anderen Parteien sich nicht zu einer veränderten Geschäftsordnung entschließen - einen Vizepräsidenten des Landtags stellen. Sie haben zudem auch das erste Zugriffsrecht bei der Wahl der Ausschussvorsitzenden und dürften sich gemäß parlamentarischer Tradition dabei den Chefposten im einflussreichen Ausschuss für Finanzen sichern. Außerdem erhalten sie Zugang zum parlamentarischen Kontrollgremium für den Verfassungsschutz. Ein Gesetz regelt explizit nur, dass ein Sitz in der fünfköpfigen Kommission »der größten Oppositionsfraktion« vorbehalten ist. Auch Untersuchungsausschüsse kann die AfD aus eigener Kraft beantragen - im Unterschied zur LINKEN erreicht sie das dafür nötige Quorum.

Mit welchem Personal die Partei diese Aufgaben angeht, ist offen. Die gewählten Kandidaten sind weitgehend Neueinsteiger mit wenig Erfahrung selbst in der Kommunalpolitik. Zu den wenigen Fraktionsmitgliedern, die politisch schon in Erscheinung getreten sind, gehört der in Bad Dürrenberg direkt gewählte Hans-Thomas Tillschneider. Der Islamwissenschaftler saß 2014 / 15 im Landesvorstand der AfD Sachsen und ist ein Wortführer der »Patriotischen Plattform«, des ganz rechten Flügels der Partei. Insgesamt hat die AfD in Sachsen-Anhalt gerade mal 300 Mitglieder - was heißt, das de facto jeder Zwölfte von ihnen nun ein Mandat inne hat. Stellen für Referenten und anderes Personal in der künftigen Fraktion hatte die AfD in Vorwegnahme des Erfolgs bereits Tage vor der Wahl ausgeschrieben.

Trotz der mangelnden Erfahrung ist die AfD, anders als die 1998 ebenfalls spektakulär in den Magdeburger Landtag eingezogene DVU, freilich keine Phantompartei; vielmehr verfügt sie über ein breites organisatorisches und politisches Hinterland, wie bereits bei der Wahlparty augenfällig wurde. Neben dem Thüringer Landeschef Björn Höcke, dem Vorbild und engen Vertrauten Poggenburgs, waren mit Landesvize Carsten Hütter sowie Julien Wiesemann auch zwei Vertreter aus Sachsen anwesend. Unter den Gästen war Götz Kubitschek, Chef des im Süden von Sachsen-Anhalt ansässigen »Instituts für Staatspolitik«, einer neurechten Denkfabrik, in der Poggenburg, Höcke und Tillschneider häufige Gäste sind. Das rechte »Compact«-Magazin des Journalisten Jürgen Elsässer, dessen aktuelle Ausgabe die AfD-Chefin Frauke Petry als die »bessere Kanzlerin« abfeiert, hatte in einem Nebenraum ein TV-Studio eingerichtet. Und im Foyer fabulierte Martin Sellner, ein führender Kopf der neurechten Identitären Bewegung aus Österreich und Vertreter der Initiative »Ein Prozent«, über eine neue »Wende in Deutschland«. Höcke sagte gar: »Hier und heute beginnt eine neue Epoche in der Bundesrepublik.« Ein Anspruch, an dem sich die Fraktion wohl messen lassen wollen wird.

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