Helfer entsetzt über Folgen des Flüchtlingspakts

Appell an die Bundesregierung: »Flüchtlinge aus Idomeni jetzt in Europa aufnehmen!«

  • Lesedauer: 3 Min.
Der Umgang mit Migranten auf den griechischen Inseln stellt die Organisation vor Ort auf den Kopf. Helfer sprechen von einem »unmenschlichen System«, die Bundesregierung weist die Kritik zurück.

Mit einem öffentlichen Appell hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie von der Bundesregierung gefordert, sofort eine europaweite Initiative für die Flüchtlinge in Idomeni zu starten, damit diese in Europa aufgenommen werden könnten. Die Flüchtlinge, die unter erbärmlichen Bedingungen vor der mazedonischen Grenze hausen, müssten nach Deutschland oder ein europäisches Land ihrer Wahl gebracht werden, schrieb Martin Singe vom Komitee in dem Appell.

Singe bezeichnete das kürzlich in Kraft getretene Abkommen der EU mit der Türkei als »menschenrechtswidrigen Deal«. Die geflüchteten Menschen, die aktuell zu den Not-leidensten gehörten, seien dadurch übergangen worden und würden nun von Europa im Stich gelassen werden. »Man lässt sie europäisch in Idomeni im Dreck stecken«, heißt es. Europa trage eine Mitschuld an den Ursachen, die zur Flucht der Menschen führte. Desweiteren verglich er den Pakt als Menschenhandel: »Der Abschottungspakt der EU mit der Türkei zur militarisierten Flüchtlingsabwehr ist an Zynismus nicht zu überbieten«.

Auch Hilfsorganisationen auf der griechischen Insel Lesbos haben sich entsetzt über die Folgen des Flüchtlingspakts geäußert. Aus Protest gegen die faktische Inhaftierung der Menschen vor Ort stellten das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Organisation Ärzte ohne Grenzen den Transport der Flüchtlinge zum sogenannten Hotspot der Insel ein. Die Bundesregierung wies die Kritik zurück.

Nach den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert geht Deutschland von einer eher kurzen Verweildauer der Flüchtlinge in den umstrittenen Aufnahmelagern aus. »Sie muss so kurz sein wie möglich, (...) aber auch so lang wie nötig, um den rechtlichen Bestimmungen gerecht zu werden«, erklärte Seibert am Mittwoch in Berlin.

»Bisher war es so, dass am Hafen Ärzte und freiwillige Helfer warteten, die sich um die Flüchtlinge kümmerten, sie versorgten und zu den Auffanglagern brachten«, sagte Thomas Baumgärtel, der auf Lesbos die Station der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) leitet. »Das bricht jetzt weg - aber wir können die Leute ja nicht einfach im Meer aufsammeln, am leeren Pier ausladen und wieder aufs Meer fahren!«

Glück im Unglück, sagte Baumgärtel, dass es in der Nacht zum Mittwoch stark stürmte und deshalb von der Türkei aus keine Boote übersetzten. »Wenn das Wetter morgen wieder besser wird, müssen wir uns was überlegen.«

Amnesty stellte seine Aktivitäten im Lager Moria auf Lesbos nach eigenen Angaben ein. Die Fortführung der Arbeit mache die Helfer zu »Komplizen eines Systems, das wir als unfair und unmenschlich ansehen«, teilte die Landeskoordinatorin für Griechenland, Marie Elisabeth Ingres, mit. »Wir werden nicht zulassen, dass unsere Hilfe für eine Massenabschiebung instrumentalisiert wird.«

Helfer vor Ort auf Lesbos berichteten, dass neu ankommende Flüchtlinge und Migranten seit Inkrafttreten des Flüchtlingspakts am Sonntag wie Kriminelle behandelt würden. Wenn sie im Auffanglager ankommen, werden ihnen demnach Schnürsenkel, Gürtel und Handys abgenommen. Anschließend würden sie im »Hotspot«, einem ehemaligen Gefängnis, in Baracken untergebracht, die sie nicht verlassen dürften.

Im griechischen Grenzlager Idomeni forderten Insassen die Öffnung der mazedonischen Sperranlagen. Dutzende Migranten blockierten die Eisenbahntrasse, rund 150 setzten sich auf eine Fernstraße und verursachten kurzzeitig ein Verkehrschaos. Einige Migranten traten in den Hungerstreik, berichteten Reporter vor Ort. Die griechischen Bahnen brachten alte Schlafwagenwaggons nach Idomeni, die rund 250 Menschen einen trockenen Schlafplatz bieten. Am Nachmittag setzte erneut starker Regen ein.

»Die Menschen hier tun sich aus lauter Verzweiflung selbst Schlechtes an«, sagte UNHCR-Sprecher Babar Baloch der Deutschen Presse-Agentur. Aus Furcht vor Gewaltakten wütender Migranten zogen die meisten humanitären Organisationen einen Teil ihrer Mitarbeiter in der Nacht zum Mittwoch aus dem Lager ab, wie der UNHCR-Sprecher berichtete. In Idomeni harren nach Schätzungen des Krisenstabs aktuell gut 13 000 Menschen aus. Sie wollen weiter Richtung Norden, meist nach Deutschland. Agenturen/nd

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