Sensationsfund bei den Harzer Drachenjungen

Die vor Jahrzehnten in der Hermannshöhle ausgesetzten Olme haben sich nie vermehrt - doch nun fand man Eier

  • Violetta Kuhn, Rübeland
  • Lesedauer: 3 Min.
Augenlose Lurche schlängeln sich durch einen Höhlensee im Ost-Harz: die seltenen Grottenolme. Im Alter von mehr als 60 Jahren haben sie nun Eier gelegt. Für Biologen ist das eine einzigartige Gelegenheit.

Zu hören ist in der Höhle in Rübeland (Sachsen-Anhalt) nichts außer einem gelegentlichen Tropfen. Aber im seichten Wasser des Grottensees mitten im Harz huscht etwas Weißliches durch den Lichtkegel der Taschenlampe. Dann zeigt sich ein augenloser Kopf unter einem Stein. Und plötzlich ist er in seiner ganzen Länge zu sehen: ein Grottenolm, rund 30 Zentimeter lang und über 60 Jahre alt.

Insgesamt sieben Exemplare der seltenen Schwanzlurchart leben in der Hermannshöhle. Es sind die einzigen Grottenolme Deutschlands und die am weitesten nördlich lebenden überhaupt. Die Tiere sehen aus wie eine Mischung aus Regenwurm, Aal und Albinosalamander und sind alle mindestens sechs Jahrzehnte alt. Jetzt wurden in ihrem See zum ersten Mal vier Eier gefunden, und im Harz steigt die Spannung, ob daraus in ein paar Monaten Larven schlüpfen werden.

»Wir haben wohl ein einziges Mal die Möglichkeit, das zu beobachten«, sagt Markus Mende. Der 32-jährige Verwaltungsrechtler hat die Lurche mehr oder weniger freiwillig mitadoptiert, als er vor einem Jahr Vize-Leiter des Tourismusbetriebes der nahen Stadt Oberharz am Brocken (Sachsen-Anhalt) wurde.

In seinem Büro in Rübeland zählt Mende die Fortpflanzungsprobleme der Olme auf: Die Tiere legen nur alle paar Jahre Eier. Bei Revierkämpfen in der Paarungsphase beißen sie sich gegenseitig schon mal Kiemenbüschel oder Beinchen ab. Und: Sie haben einen fatalen Appetit auf die eigenen Eier. Zwar können die Tiere schätzungsweise bis zu hundert Jahre alt werden. »Aber man hat immer diese Angst gehabt, dass die sterben könnten«, sagt Mende. Das wäre ein Verlust - nicht zuletzt, weil sie bei den Höhlentouristen beliebt sind.

Dabei dürften die Olme eigentlich gar nicht im Harz sein: Der einzige natürliche Lebensraum der Amphibien sind Karsthöhlen entlang der Adria. Früher wurden sie für Drachenjunge gehalten. In den 1930er Jahren beschaffte der damalige Rübeländer Höhlendirektor fünf Tiere aus diesem Gebiet und setzte sie als Touristenattraktion und Forschungsobjekte in dem künstlich geschaffenen Grottensee im Harz aus. In den 1950er Jahren importierte ein örtliches Ehepaar 13 weitere in einer Blechkanne. Seitdem werden die Olme im Harz immer weniger. Deshalb wurde professionelle Hilfe geholt. Schon 1981 führte der Hallenser Biologe Wolf-Rüdiger Große erste Geschlechtsuntersuchungen durch, untersuchte später tote Olme auf Krankheiten und Pilze. Als in den vergangenen Jahren immer mehr Tiere verendeten, kamen französische und norddeutsche Experten hinzu, die den Olmensee artgerechter ausrüsteten und die wissenschaftliche Beobachtung der Tiere anschoben.

Dafür ist heute Ute Fricke zuständig. Die Höhlenführerin sieht mit einer Kollegin jeden Tag nach den Olmen, sucht den See nach weiteren Eiern ab und verfüttert alle acht Wochen eine Ladung Tiefkühl-Mückenlarven.

Heute seien die Lurche gut drauf, sagt sie lachend und leuchtet mit der Taschenlampe ins seichte Wasser. »Wenn die tiefenentspannt sind, sind ihre Kiemen ganz weiß.« Sonst verfärbten sie sich rot. Seit Ende Februar überprüft Fricke außerdem wöchentlich das Wasser in den eigens für die Eier aufgestellten Aquarien. Darin ist der Nachwuchs sicher vor dem kannibalischen Hunger der Olme.

Ob am Ende tatsächlich neue Grottenolme schlüpfen werden, sei unklar, sagt der Biologe Wolf-Rüdiger Große: »Man sieht es Amphibieneiern nicht sofort an, ob sie befruchtet sind.« Wenn ja, müssten die Larven im Mai oder Juni schlüpfen. Dann könnte sich entscheiden, ob es auch in den kommenden Jahrzehnten Olme in der Rübeländer Höhle geben wird. Denn einfach neue etwa aus Slowenien holen - das geht heute aus Artenschutzgründen nicht mehr. dpa/nd

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