Fort mit dem neu Hingebauten?

Potsdamer Bürgerbegehren wehrt sich gegen den geplanten Abriss von DDR-Architektur

»Fort mit den Trümmern und was Neues hingebaut«, hieß es nach dem Zweiten Weltkrieg in einem FDJ-Lied. In Potsdam ist das neu Hingebaute bedroht.

Bevor an diesem Freitag ein neues Bürgerbegehren zur historischen Mitte von Potsdam startet, hat Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) dargelegt, warum er das Ansinnen für gefährlich hält. »Stillstand wäre gerade jetzt das falsche Zeichen«, argumentiert Jakobs, nachdem er die vergangenen 26 Jahre schwärmerisch als Erfolgsgeschichte bezeichnet. Im gesamten Innenstadtareal zwischen Platz der Einheit und Altem Markt wäre »keine moderne Stadtentwicklung mehr möglich«, warnt der Oberbürgermeister.

Dabei geht es der Bürgerinitiative »Potsdamer Mitte neu denken« darum, den Abriss des ehemaligen Interhotels, des Wohnkomplexes Staudenhof und der Fachhochschule zu verhindern. Es handelt sich dabei um DDR-Architektur und damit stilistisch um modernere Bauwerke als die derzeit üblichen Barockattrappen à la Landtagsschloss.

Die Sammlung der Unterschriften startet am Freitag um 10 Uhr vor der Stadtbibliothek. Für ein erfolgreiches Bürgerbegehren müssten sich zehn Prozent der wahlberechtigten Einwohner in die Listen eintragen - also rund 13 500 Bürger. Dafür bleibt ein Jahr Zeit. Doch so lange soll es nicht dauern. Die Bürgerinitiative habe sich vorgenommen, bereits vor der Sommerpause ausreichend Unterschriften beisammen zu haben, erklärt Andre Tomczak, der zum harten Kern von 13 aktiven Mitstreitern gehört. Angestrebt wird, dass in der Innenstadt keine kommunalen Grundstücke mehr verhökert werden und für den Abriss von Hotel, Staudenhof und Fachhochschule keine öffentlichen Mittel fließen.

Oberbürgermeister Jakobs wendet sich gegen dieses Anliegen, indem er ein lebhaftes Zentrum mit »dringend benötigten zusätzlichen Wohnungen« verspricht, darunter mindestens 15 Prozent Sozialwohnungen. Tomczak, er sitzt als sachkundiger Einwohner der linksalternativen Fraktion »Die Andere« im Bauausschuss des Stadtparlaments, rechnet aber vor, dass mit dem Komplex Staudenhof bestimmt mehr bezahlbare Wohnungen verschwinden als neue Sozialwohnungen entstehen würden.

Auch bei Linksfraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg kommt der Oberbürgermeister mit seiner Rechtfertigungsstrategie nicht durch. Jakobs bekomme »kalte Füße« und versuche »in plumper Weise«, das Bürgerbegehren zu diskreditieren, urteilt Scharfenberg. Dabei habe der Rathauschef das Begehren selbst provoziert, indem er die massiven Proteste gegen eine Beseitigung des Hotels ignoriert habe.

Bewusst beiseite ließ die Bürgerinitiative den umstrittenen Wiederaufbau der Garnisonkirche, obwohl er zum Thema passen würde. Immerhin müsste dem Kirchenschiff das in der DDR errichtete Rechenzentrum weichen. Aber die Situation rund um die Garnisonkirche sei rechtlich so vertrackt, dass eine Berücksichtigung des Rechenzentrums die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gefährdet hätte, erklärt Tomczak.

Im Moment scheint ein originalgetreuer Wiederaufbau des Kirchenschiffs ohnehin sehr unwahrscheinlich zu sein, da die Stiftung Garnisonkirche die dafür mindestens notwendigen 60 Millionen Euro wohl nie und nimmer zusammenbekommt. Eine harte Nuss sind bereits die 37,8 Millionen für die Nachempfindung des Kirchturms, der zuerst gebaut werden soll und mit dem Rechenzentrum nicht kollidiert. Fachleute wie der Immobilienexperte Franz Steinfest zweifeln bisherige Kostenschätzungen an. Die »Märkische Allgemeine Zeitung« zitiert Steinfest mit der Einschätzung, die Fertigstellung könnte 50 Millionen Euro kosten.

Die evangelische Kirche glaubt jedoch an eine abgespeckte Variante. Dabei würden die Baukosten auf 26,1 Millionen Euro gedrückt - durch den anfänglichen Verzicht auf die Turmhaube samt Glockenspiel und dadurch, dass aufwendige Fassadenelemente und andere Dinge zunächst einmal weggelassen werden. Zwar stellte der Bund zwölf Millionen Euro in Aussicht, zwar möchte die evangelische Landeskirche ein zinsfreies Darlehen von 3,25 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Dennoch klafft immer noch eine Spendenlücke von 7,8 Millionen Euro. 2,8 Millionen will die Stiftung bis Dezember 2016 einwerben. Sie sieht selbst ein, dass dies eine sehr anspruchsvolle Aufgabe ist, nachdem die Spenden in der Vergangenheit längst nicht so reichlich flossen wie gedacht.

Das Kirchenschiff soll, wenn überhaupt, nicht hundertprozentig originalgetreu entstehen. Die Satzung der Fördergesellschaft wurde am vergangenen Wochenende entsprechend angepasst.

»Das ist eine Brücke, über die man gemeinsam gehen kann«, findet LINKE-Kreischef Sascha Krämer. »Es ist Kompromissbereitschaft erkennbar.« Ähnlich äußert sich Linksfraktionschef Scharfenberg. Dieser begrüßt, dass sich der Förderverein bewege und den kompletten Wiederaufbau nicht mehr anstrebe. »Das ist eine Station im öffentlichen Dialog«, der nun weitergeführt werden könne, hebt Scharfenberg hervor. Offen bleibt für ihn die interessante inhaltliche Frage, wie die Kirche genutzt wird, etwa für Informationen zum antifaschistischen Widerstandskampf »in seiner ganzen Breite«. Hitler kam am 21. März 1933 zur Reichstagseröffnung in die Garnisonkirche. Offiziere der Verschwörung des 20. Juli 1944 gehörten zur Kirchengemeinde, doch das ist nur ein kleiner Ausschnitt des Widerstands. Seite 4

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