Die Antispekulationsausstellung

Ina Wudtke geht mit Songs und Kunstobjekten gegen Verdrängung vor

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Verdrängung kann Papier produzieren. Eine vielfach gewundene, mehr als 100 Meter lange Papierschlange ist das Resultat eines Vermietungs-, Modernisierungs- und Rausschmiss-Krimis, zu dem die Künstlerin Ina Wudtke sieben Jahre lang in Berlin gezwungen war und aus dem sie nun wenigstens den Distinktionsgewinn der Kunstproduktion ziehen kann. Zehntausende Berliner und Berlinerinnen hatten nicht mal den, als sie in den letzten 25 Jahren ihre Wohnungen in den Innenstadtquartieren räumen mussten. Wudtke legt immerhin den Finger auf eine schwärende Wunde der Stadt. In die Papierskulptur »Entmietung« hereintretend, kann man Teile des Prozesses nachverfolgen. Die klassischen Schritte der Entmietung werden sichtbar. Es beginnt mit nicht beseitigten Mängeln, geht über willkürliche Zerstörungen wie Kellereinbrüchen und Dachdemontagen bis hin zum »Fangschuss« für Mieter mit begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen bis hin zu Modernisierungen und den damit verbundenen Möglichkeiten der Mietsteigerung.

Noch besser kann man diesen Prozess im Film »Der 360 000 Euro-Blick« nachvollziehen. Bei nur einer Einstellung, dem Blick aus dem Fenster ihrer damaligen Wohnung auf den Fernsehturm, erzählt Wudtke, wie ein von Bauarbeitern vorgenommener Einbruch in ihren Keller trotz der Abnahme von Fingerabdrücken durch seine Arbeit einmal ernst nehmenden Polizisten und sogar eines Geständnisses der vom Bauherrn beauftragten Bauleute nicht zu einer Verurteilung und angemessenem Schadensersatz führte. Sie schildert, wie ohne Vorwarnung das Dach abgenommen wurde und sie für längere Zeit bei jedem Regen fließend Wasser nicht nur aus der Wand, sondern auch aus der Decke hatte.

Vor allem aber sind ihre Alltagsbeobachtungen interessant. Etwa, wie Nachbarn sich entsolidarisieren, weil der eine Abfindung erhält und darüber Schweigen auferlegt bekommt. Das führt zur absurden Situation, dass Nachbarn sich nicht einmal mehr grüßen. Minimale Vorteile, selbst nur das Vermeiden maximaler Nachteile führt zu einer vergifteten Atmosphäre. Neben all den ökonomischen Folgen ist das eben auch eine nicht zu unterschätzende soziale Folge, die die Kapitalisierung von Wohnraum mit sich bringt.

Wudtkes Verdienst ist es aber, diese typische Post-Wende-Geschichte in größere Zusammenhänge einzubetten. Ein Exemplar des ansonsten vergriffenen »Abschreibungs-Dschungelbuchs« aus dem Jahre 1982 liegt aus. An Einzelbeispielen ist hier aufbereitet, wie in den 70er und 80er Jahren der soziale Wohnungsbau als Steuerumverteilungsmaschine von unten nach oben konstruiert wurde. Sogenannte Investoren erhielten durch Förderungen für den Bau und die Garantie von sukzessive steigenden »Kostenmieten« häufig mehr als 100 Prozent der eigentlichen Investitionskosten von der öffentlichen Hand zurückerstattet! Hinzu kamen Steuerabschreibungsvorteile, die weitere Gewinne von etwa 80 Prozent der Baukosten mit sich brachten. Die öffentliche Hand hat extrem teuer bauen lassen - und ist noch nicht einmal Eigentümer der Gebäude! Wegen der favorisierten Neuauflage des sozialen Wohnungsbauprogramms wird das dank der zahlreichen Comics auch außerordentlichen Retro-Charme verbreitende Büchlein hochaktuell.

Und Wudtke verweist auch über die Berlin-Brandenburgische Streusandbüchse hinaus. In der Tradition der gentrifikationskritischen Rapper aus Brooklyn kreierte die Musikerin und DJane eigene Songs über Investoren und den Widerstand gegen sie. Die Songs wurden unter anderem bei Demos gegen das Mediaspree-Projekt gespielt. Die Texte sind jetzt auf großen Vorhängen aufgebracht und an die Wand gehängt - angewandte Kunst mit Erkenntniseffekten.

Mit einer zwar gewagten, aber eben auch nicht abwegigen Volte bezieht Wudtke die Arisierung in die Verdrängungsdynamiken ein. 50 Prints von einstigen jüdischen Einrichtungen in Berlin sind in der Arbeit »Gaps in Berlin« zu sehen. »Eviction« ist eine so vielschichtige wie leicht lesbare Ausstellung zu einem der wichtigsten städtischen Kampffelder.

Bis 16. April, Kunstraum Kreuzberg/ Bethanien, Mariannenplatz 2

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