An den Empfängern vorbei

Sozialverbände halten das Bildungs- und Teilhabepaket für gescheitert

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Eigentlich soll es Bildung und Teilhabe von armen Kindern fördern. Doch Sozialverbände kritisieren das Programm als praxisuntauglich.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010 sorgte für einen Paukenschlag: Die Karlsruher Richter hatten entschieden, dass die Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene und Kinder gegen das Grundgesetz verstoßen, weil die Leistungen nicht korrekt ermittelt worden seien. Auch für Kinder sei ein »Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben« zu garantieren, so das Gericht in seinem Urteil.

Die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) brachte das unter Zugzwang. Doch anstatt die Regelsätze entsprechend anzuheben, führte die Ministerin das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket ein, das 2011 in Kraft trat und einzig den Zweck hatte, die Kosten möglichst gering zu halten. Es sah Zuschüsse für Vereinsmitgliedschaften und Musikunterricht vor, ebenso wie Sachleistungen für den Schulbedarf.

Auf einer Pressekonferenz am Donnerstag sagten Vertreter des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und des Deutschen Kinderschutzbundes, das Bildungs- und Teilhabepaket sei fünf Jahre nach seiner Einführung als gescheitert anzusehen. Die 2,7 Millionen anspruchsberechtigten Kinder würden von den Maßnahmen kaum profitierten. »Sie wachsen in Armut auf, mit erheblichen Auswirkungen auf ihre Lebenschancen. Daran hat auch das Bildungs- und Teilhabepaket nichts geändert«, kritisierte Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. »Im Gegenteil: Das Bildungs- und Teilhabepaket stigmatisiert Kinder, weil es sie immer wieder dazu zwingt, sich in Schule und Freizeit als arm zu outen. Hinzu kommt, dass die einzelnen Leistungen in ihrer Höhe bereits bei der Einführung nicht ausreichend waren und seitdem nie erhöht wurden«, so Hilgers.

Auch das Urteil von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, fiel vernichtend aus: »Das Bildungs- und Teilhabepaket ist bürokratischer Murks und geht an der Lebensrealität Heranwachsender ebenso vorbei wie an den Strukturen vor Ort.« Tatsächlich ist das Paket bei Lehrern und Sozialarbeitern als »Bürokratiemonster« verschrien. Die Zahlen, die Hilgers nannte, scheinen das zu bestätigen. Von den 531 Millionen Euro, die das Paket im Jahre 2014 kostete, gingen 182 Millionen für Verwaltungskosten drauf. Das Bundesarbeitsministerium bezifferte die Kosten auf »nd«-Nachfrage auf rund 180 Millionen Euro. Eine Sprecherin verwies gegenüber dieser Zeitung auf den erhöhten »Umsetzungsaufwand der Bildungs- und Teilhabeleistungen« aufgrund des Sachleistungsprinzips. »Mit der Entscheidung des Gesetzgebers, dem Leistungsberechtigten im Regelfall weder pauschal noch nach konkreter Abrechnung Geld zukommen zu lassen, soll eine zielgenaue Bedarfsdeckung sichergestellt werden«, so die Ministeriumssprecherin weiter.

Schneider und Hilgers forderten am Donnerstag eine grundsätzliche Reform des Systems. So müsse es einen individuellen Rechtsanspruch auf Teilhabe geben, erklärte Schneider. Dieser Anspruch wäre dann leichter einklagbar. Denn vor Ort sind die Kommunen für die Umsetzung des Paketes zuständig. Da viele unter Spardruck stehen, werden entsprechende Leistungen schnell dem Rotstift geopfert. Eine solche Reform könnte auch die Inanspruchnahme erhöhen. Viele Eltern würden das Paket nicht kennen oder eine soziale Stigmatisierung fürchten, so Hilgers.

Und das Bundesarbeitsministerium? Lässt derzeit untersuchen, »wie das Bildungspaket in der kommunalen Praxis umgesetzt wird und welche Faktoren und Prozesskonstellationen sich fördernd oder hemmend auf die Inanspruchnahme auswirken.« Ein Anruf beim Kinderschutzbund würde wohl genügen, um derartige Erkenntnisse zu gewinnen.

Die Linkspartei-Vorsitzende Katja Kipping plädierte dafür, statt der Sachleistungen Aufwendungen für einen Sportverein oder eine Musikschule in den Regelsatz einzurechnen.

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