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Australien: Die Radikalisierung von Vater und Sohn

Mutmaßliche Täter der Terrorattacke am Bondi Beach sollen sich auf den Philippinen vorbereitet haben

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.
Trauernde gedenken der Opfer des Terroranschlags am Bondi Beach in Sydney.
Trauernde gedenken der Opfer des Terroranschlags am Bondi Beach in Sydney.

Als Naveed A. am Sonntag seine Mutter anrief, klang alles nach einem entspannten Wochenendausflug. »Mama, ich bin nur schwimmen gegangen. Ich bin tauchen gegangen«, sagte der 24-Jährige laut seiner Mutter Verena. Die Familie glaubte, Vater und Sohn seien zum Angeln gefahren, berichtet die lokale Tageszeitung »Sydney Morning Herald«.

Doch in Wahrheit hielten sich Naveed und sein Vater Sajid, 50, in einem kleinen grauen Backsteinhaus im Stadtteil Campsie von Sydney auf – kurz bevor sie das Feuer auf eine Chanukka-Feier am Bondi Beach eröffneten und 15 Menschen töteten. Sajid selbst kam ebenfalls ums Leben – er wurde von der Polizei erschossen –, Naveed liegt schwer verletzt im Krankenhaus.

Zwei Tage nach dem Anschlag fügen Ermittler nun die Puzzleteile zusammen und enthüllen die Geschichte zweier Männer, die mit der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) sympathisierten – ohne dass die Behörden sie davon abhalten konnten.

Naveed A. war erst 17 Jahre alt, als er auf den Straßen West-Sydneys missionierte. Der australische Sender ABC hat Videos enthüllt, die zeigen, wie er Passanten anspricht und verkündet: »Das Gesetz Allahs ist wichtiger als alles andere, was man zu tun hat – Arbeit, Schule … Ich kann es nicht genug betonen.« In einem anderen Video fordert er Menschen auf, »die Botschaft zu verbreiten, dass Allah der Eine ist«, und verspricht: »Inschallah, das wird dich am Tag des Jüngsten Gerichts retten.«

Diese Aufnahmen stammen aus dem Jahr 2019 – just aus der Zeit, als Naveed A. erstmals ins Visier des australischen Geheimdienstes Asio geriet. Wie Australiens Premierminister Anthony Albanese in einem separaten ABC-Interview bestätigte, untersuchte der Geheimdienst ab Oktober 2019 die Verbindungen des damals 18-Jährigen zu einer IS-Terrorzelle in Sydney. Doch nach sechs Monaten stellte Asio die Ermittlungen ein. »Er wurde auf der Grundlage seiner Verbindungen zu anderen untersucht, und die Einschätzung war, dass es keine Hinweise auf eine anhaltende Bedrohung gab«, so Albanese. Es seien »keine Beweise« dafür gefunden worden, dass Vater oder Sohn sich radikalisiert hätten.

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Dabei waren Naveeds Verbindungen zu extremistischen Kreisen offenbar weitreichend. Wie Beamte der Terrorismusbekämpfung gegenüber ABC enthüllten, war der junge Mann ein Gläubiger im Al-Madina Dawah Centre im Stadtteil Bankstown – dem Gebetszentrum des berüchtigten Predigers Wisam Haddad. Das arabische Wort »Dawah« bedeutet in diesem Kontext Werbung, Propaganda (für den Islam). Eine Untersuchung des Investigativ-Programms »Four-Corners« identifizierte Haddad als geistlichen Führer von Australiens Pro-IS-Netzwerk. Der Prediger ist bekannt für antisemitische Vorträge; im Juli stellte das Bundesgericht fest, dass er gegen das Rassendiskriminierungsgesetz verstoßen hatte.

Über einen Anwalt ließ Haddad mitteilen, er »bestreitet vehement jegliches Wissen über oder Beteiligung an den Schießereien am Bondi Beach«. Naveed A. arbeitete als Straßenprediger für Haddads Organisation Dawah Van, die im Juni ihren Wohltätigkeitsstatus verlor, nachdem bekannt geworden war, dass sie junge Australier radikalisierte. Unter seinen Bekannten befand sich Isaac Al-Matari, der später zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, weil er sich zum australischen IS-Kommandeur erklärt hatte. Auch zu Jusef Uweinat, einem IS-Jugendrekrutierer, der Minderjährige zu Angriffen ermutigt hatte, pflegte Naveed Kontakte. Im Auto der Attentäter fanden Ermittler neben selbst gebauten Sprengkörpern zwei IS-Flaggen.

Bekannt ist inzwischen auch, dass Vater und Sohn Anfang November – etwa einen Monat vor dem Anschlag – nach Manila gereist waren, wie Sicherheitsexperten gegenüber ABC bestätigten. Von dort begaben sie sich in den Süden der Philippinen, um eine »militärische Ausbildung« zu absolvieren, so ein hochrangiger Beamter der Terrorismusbekämpfung. Die Region ist seit den 90er Jahren ein Hotspot für islamistische Militante. Ende November kehrten die beiden nach Australien zurück.

Nach außen führte Naveed A. allen Anschein nach aber ein unauffälliges Leben. Der arbeitslose Maurer hatte seine Stelle vor zwei Monaten verloren, als die Firma insolvent wurde. Seine Mutter Verena beschrieb ihn gegenüber dem »Sydney Morning Herald« als nicht besonders gesellig, als jemanden, der nicht viel Zeit online verbringe und Angeln, Tauchen und Sport liebe. Er lebte mit seinen Eltern und zwei jüngeren Geschwistern im Stadtteil Bonnyrigg.

Sein Vater Sajid war 1998 mit einem Studentenvisum nach Australien gekommen und hatte später zur Heirat auf ein Partnervisum gewechselt, wie Australiens Innenminister Tony Burke mitteilte. Aus welchem Land er ursprünglich stammt, machte Burke nicht bekannt. Sajid A. war seit einem Jahrzehnt lizenzierter Waffenbesitzer. Sechs der beim Anschlag verwendeten Waffen waren registriert.

Dass ein Mann, dessen Sohn solch weitreichende extremistische Kontakte pflegte, legal Waffen besitzen durfte, wirft grundsätzliche Fragen auf. »Das ist ein Versagen des Systems«, sagte John Coyne, Direktor für Nationale Sicherheit am Australian Strategic Policy Institute, gegenüber ABC. Er fordert eine Royal Commission, also einen mit weitgehenden Vollmachten ausgestatteten Untersuchungsausschuss, typisch für die parlamentarischen Monarchien des Commonwealth, um nicht nur den Anschlag zu untersuchen, sondern auch »den zunehmenden Antisemitismus, die Hassrede, die ideologisch motivierten Verbrechen, die als Meinungsfreiheit entschuldigt wurden«.

Dass ein Mann, dessen Sohn solch weitreichende extremistische Kontakte pflegte, legal Waffen besitzen durfte, wirft grundsätzliche Fragen auf.

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