Allerbeste Kammermusik

Kühlhaus Berlin-Kreuzberg: Streichtrios von Schubert, Schönberg und Mozart mit dem Gideon-Klein-Trio

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Herrliches Musizieren mit dem Gideon-Klein-Trio und gute Stimmung mit Moderator Volker Wieprecht im Kühlhaus in der Luckenwalder Straße, jenem Gebäude, in dem früher zuhauf pures Eis gelagert und von dort an die Hauseingänge der Umgebung transportiert wurde. Kühlaggregate gab es anno dazumal für den Massengebrauch noch nicht. Ausbetoniertes Kühlhaus mit Emporen, Wendeltreppe, eisig kalten Wänden versus intime Kammermusik, das scheint nicht zu passen. In solchen Räumlichkeiten klingt es, als würde ein Mozart-Streichquartett in einer mittelgroßen Kirche aufgeführt werden, also ziemlich hallig, gar fremd, was zumal bei Kammermusik, zu der kleine, trockene Räume gehören, die Toncharakteristik verändert, den Klang insgesamt präsenter erscheinen lässt. Ein Problem, gewiss, aber allein die abdämpfende Masse im Raum - fast jeder der etwa 300 Plätze war besetzt - milderte es. Außerdem wissen professionelle Musiker, ihre Spielweise - soweit möglich - den räumlichen Gegebenheiten anzupassen.

So auch das Gideon-Klein-Trio mit der Geigerin Susanne Herzog, dem Bratschisten Gernot Adrion und dem Cellisten Hans-Jakob Eschenburg, welches am Donnerstagabend Streichtrios von Schubert, Schönberg und Mozart musizierte. Alle drei Spieler gehören dem Rundfunk-Symphonieorchester Berlin an. Ein grandioses Ensemble, 2006 gegründet, benannt nach dem tschechisch-jüdischen Komponisten Gideon Klein, der als Musikschöpfer in den 1990er Jahren erst wieder entdeckt wurde. Dessen Biografie ist keine gewöhnliche. Klein, geboren 1919, musikalisch hochbegabt, wurde 1941 nach Theresienstadt deportiert. Um die Not zu mildern und letztlich zu überleben, arbeitete er dort mit Musikgruppen, komponierte auch und führte Konzerte auf. Das nutzte die SS aus. Theresienstadt sollte sich der Welt als kulturvoll präsentieren. An der Seite von mitinhaftierten Berufskollegen wie Viktor Ullmann, Pavel Haas, Karel Berman und Karel Ančerl versuchte Gideon Klein, seinen musikalischen Interessen selbst unter widrigsten Bedingungen nachzukommen. Wenige Tage nachdem er sein Streichtrio beendet hatte, kam er 1944 über Auschwitz in das Außenlager Fürstengrube und starb 1945 in den dortigen Kohlegruben. Ein würdiger Name, den das Trio trägt.

Allerbeste Kammermusik kam zu Gehör. Komponiert von Österreichern. Die Stücke kontrastieren. Zu Beginn Schuberts Streichtrio B-Dur im Tempo Allegro, ein Fragment. Es ging federleicht über die Bühne. Der neunzehnjährige Schubert, eben dem Kompositionsstudien entwachsen und selbstständig geworden, schuf eine gelöste, geläuterte Serenadenmusik, die hintergründige Tonfälle nicht ausspart. Zuletzt das Streichtrio Es-Dur von Mozart. Ein 40-Minuten-Opus in sechs Sätzen, das aufzuführen mindestens so schwierig sei wie komplizierte Stücke der Moderne, verriet Cellist Eschenburg, was ihm zu glauben ist. Das Adagio darin lässt erschrecken. Da bricht der Komtur aus »Giovanni« in die Faktur ein. Eine vorbildliche, nicht eine Sekunde langweilige, leidenschaftliche Interpretation.

In die Mitte gesetzt Arnold Schönbergs Streichtrio op. 45. Mozart und Schönberg - so fern voneinander, wie gemeinhin geglaubt, stehen die beiden gar nicht. Hohe Anstrengungen der Umsetzung erfordern beide Trio-Werke. Spieltechnisch, strukturell, ausdrucksmäßig. Op. 45 ist wahrhaft ein Wunderwerk der klassischen Moderne, worin ein heftig pulsierender, die Wirklichkeit in dem, was sie angerichtet hat, reflektierender Klangkosmos hörbar wird. Schönberg, seinerzeit schon über ein Jahrzehnt im US-Exil, schuf dieses Trio 1946 als schwer herzkranker Mann, der sein Überleben nur einer Direkteinspritzung ins Herz verdankte. Nun munkelte der dialogfreudige Moderator Volker Wieprecht, ob dieser rettende Akt irgendwie hörbar sein würde in dem Stück. Worauf der befragte Musiker meinte, das sei an der Stelle zu hören, bei der die Geige ihren Ton im höchsten Diskant so spitz wie möglich spiele. Das ist natürlich Unsinn. Denn solche stechenden Gebärden tauchen in vielen der Schönbergschen 12-Tonwerke auf, in dem Streichtrio ohnedies mehrmals, und zwar ganz konstruktiv.

Zum besseren Verständnis gaben die Musiker vor der kompletten Aufführung unterschiedliche Beispiele aus dem Werk, bewegte, irritierende wie langsame, poetischen Stellen. Die Hörer dankten, indem sie schließlich dem ganzen Erklingenden aufmerksam zuhörten und Beifall zollten. Und sie dankten nicht minder der Zugabe, einem streitbaren Energico-Satz aus jenem Streichtrio von Gideon Klein, das er kurz vor seiner Ermordung komponiert hatte.

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