USA: Society-Splitting

Die USA sind ein Land voller Widersprüche – von Essgewohnheiten über das Rechtssystem bis hin zu Vorstellungen von Freiheit

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 4 Min.
Beim Brunch mit so genannten »Bottomless Mimosas« trinkt man in den USA mehr Alkohol als beim Wein-Dinner in Bordeaux.
Beim Brunch mit so genannten »Bottomless Mimosas« trinkt man in den USA mehr Alkohol als beim Wein-Dinner in Bordeaux.

Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,

als wir vor acht Jahren von Deutschland in die USA zogen, wurde Donald gerade zum Präsidenten gewählt. Und als die Protestanten auf der Straße »Not my President« skandierten, befand ich mich noch im sogenannten Denial-Status: Mein Präsident ist dieser Dödel auch nicht, ich habe eine Kanzlerin mit Doktortitel! Ob ich mit auf die Frauendemo wolle, fragte mich eine Frau ein paar Monate später, als Trump eingeschworen wurde. Ich kam gerade frisch von einer Reise nach Hamburg und Wien, war gejetlagged und gecultured und blieb zuhause. Ich brauchte doch keine »Pussymütze« aufzusetzen, dachte ich, meine Kanzlerin trug nie Kopfbedeckung. Dafür war sie ein stolzer »Outfit Repeater« in Bayreuth.

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Mein neuer US-Bekanntenkreis war zweigeteilt. Wohlbetuchte weiße Frauen sagten peinliche Sachen wie »Ich lese keine Parteiprogramme. Mein Mann sagt, Trump ist besser für die Wirtschaft«. Ein lateinamerikanischer Bekannter wollte der Polizei die Finanzierung entziehen und das Militär abschaffen; auch nicht gerade weise. Muslime fürchteten sich aufgrund der »Travel Bans« zurecht, das Land zu verlassen, und mein jüdischer Arzt freute sich anfangs über Trumps angebliche Israelfreundlichkeit; als dieser sich aber neonazinah gab, versiegte der Enthusiasmus. Nach vier Jahren Trump war Amerikas Bevölkerung ausgelaugt und verbittert. Trump-Liebhaber schienen aufgekratzt, hasserfüllt auf die »radikale Linke«, den nahenden Machtverlust spürend. Trump-Hasser sahen in ihm Luzifer selbst, beschworen das Dritte Reich (eine Tendenz, die ich verabscheue, weil sie die Opfer des echten Dritten Reiches herabwürdigt), und drohten das Land zu verlassen  ̶  wohin, blieb offen. (Alle wollen sie nach Italien, bis sie herausfinden, in welcher Partei die Ministerpräsidentin ist.)

Dann wurde Joseph Biden Präsident und es hieß, alles würde werden wie früher. Ich weiß zwar nicht genau, wie es früher wirklich war, aber geeint wurde in den letzten vier Jahren die Gesellschaft auch nicht. Auf Tiktok erklären einerseits sogenannte Trad Wives, wie man als aufopferungsvolle und fleißige Hausfrau den Ehemann glücklich macht, obschon ihre Rezepte abscheulich aussehen und wohl nur einen Typen ohne Geschmackssinn glücklich machen könnten; andererseits führt Gen Z auf den Campus der Eliteuniversitäten, die ihre Familien Hunderttausende Dollar kosten, Krieg gegen den westlichen Kapitalismus, vermummt mit Kufiya, eine Intifada fordernd. Beides ist paradox: Der konservative Hunger nach mehr Freiheit bei gleichzeitiger Ausschaltung von Frauenrechten und der liberale Durst nach Freiheit bei gleichzeitiger Glorifizierung von Diktatoren und fundamentalistischen Rebellen.

Die Spaltung der US-Gesellschaft zeigt sich überall; das Einzige, was die Amis noch zu einen scheint, ist ihre bedingungslose Liebe zu Taylor Swift. Und es gibt nicht nur eine Spaltung, sondern auch enorme Widersprüche. Die USA haben sowohl die größte Pornoindustrie der Welt als auch eine krankhafte Keuschheitsobsession, die dicksten Menschen trotz schlechtem Essen (danke, Trad Wives), einen sedentären Lifestyle ungeachtet der schönsten Naturparks und weltberühmte technische Innovationen, die gefühlt die schwächsten Hausgeräte der Welt hervorbringen. Auch die Unterschiede zwischen den Bundesstaaten verblüffen ständig. In Texas sitzen Leute im Knast für etwas, das in Kalifornien legal ist. Nun gibt es in einigen Staaten die schärfsten Abtreibungsgesetze der westlichen Welt, aber die sind gepaart mit der Möglichkeit, sich das Geschlecht des Fötus auszusuchen, welches man bei seiner Leihmutter implantiert (beides ist in der EU verboten). Sexarbeit ist illegal, in Teilen Nevadas jedoch nicht. Trinken darf man nicht auf der Straße, aber beim Brunch mit »Bottomless Mimosas« – Frühstückscocktails aus Champagner und Orangensaft – wird mehr gebechert als beim Wein-Dinner in Bordeaux. Steuern empfindet man als lästig, aber überall wird man gezwungen, für irgendwas zu spenden.

Deutschland dagegen schien mir immer sehr homogen: Sonntagsruhe, Altglastrennung (außer sonntags), Feierabend, Fahrradtour, Spargelzeit, Osterfeuer, Hundeschule, Sitzplatzreservierung. Wer sich nicht an die Regeln hält, gehört nicht dazu. Langsam wandelt sich die deutsche Gesellschaft auch, denn wenn Immigranten eins können, dann ist das, neue Trends zu setzen. Vielleicht ist der Status quo Amerikas die Zukunft Deutschlands? Ich muss jedenfalls los, liebe Lesende, das neue Swift-Album hören.

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