Medikamente schneller auf dem Markt

Neue Arzneimittel sollen künftig auch ohne langwierige Studien zugelassen werden können

  • Manfred Godek
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Europäische Arzneimittelagentur lockert Zulassungsverfahren für neue Medikamente. Kritiker sprechen von Vermarktungshilfe für die Pharmaindustrie.

2015 hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA 93 positive Empfehlungen ausgesprochen und damit mehr als 2014 (82). Darunter waren 39 Empfehlungen für neue Wirkstoffe, ein Drittel davon dient der Krebsbehandlung. Dazu gehört der Wirkstoff Pertuzumab, der unter dem Medikamentenamen Perjeta zusammen mit Herceptin und einer Chemotherapie gegen den besonders aggressiven HR2-Brustkrebs vor einer Operation eingesetzt wird. Die Zulassung erfolgte am 29. Juli 2015. Die Erprobungsstudie hatte ergeben, dass zum Zeitpunkt des Eingriffs doppelt so viele Patientinnen tumorfrei waren wie bei einer Vergleichstherapie.

Erstmals wurde damit bei der Beurteilung eines Krebsmedikaments die so genannte pcR-Rate - die »pathologisch komplette Remission« der Krankheitssymptome - zugrunde gelegt. Die pcR-Rate kann bereits wenige Wochen nach Behandlungsbeginn ermittelt werden. Bis dato gilt bei Krebs die Gesamtüberlebensrate als entscheidendes Kriterium. Diese ist aber erst nach sechs bis acht Jahren statistisch verlässlich messbar.

Die Liberalisierung der Zulassungspraxis hatte sich bereits im März 2014 mit dem Pilotprojekt »Adaptive Pathways« angedeutet. Arzneimittel können schon nach wenigen Studien für einen kleinen Patientenkreis eingesetzt werden, der nach und nach erweitert wird. Ein Bericht soll bis Ende 2016 vorliegen. Vor vier Jahren hatte die US-Gesundheitsbehörde den Safety and Innovation Act verabschiedet, nach dem erfolgversprechende Medikamente gegen schwere Erkrankungen binnen 60 Tagen genehmigt werden können. Das kommt der Industrie entgegen. Forschungsprogramme mit kleineren und klarer definierten Zielgruppen senkten die Schwelle für die Entwicklung neuer Medikamente, erklärt die EMA.

Dass die adaptive Strategie vor allem für Arzneimittel gegen schwere Erkrankungen vorgesehen ist, wie von der Behörde im Internet dargestellt, bezweifelt das Arzneimitteltelegramm mit Hinweis auf eine Veröffentlichung im Journal of Clinical Pharmacology von 2015. Dort stelle der Leitende Mediziner der EMA, Hans-Georg Eichler, das adaptive Design als »das bevorzuge Verfahren der Zukunft« heraus. Zwar betone die EMA neuerdings, es handele sich nicht um eine neue regulatorische Methode. Die Strategie bleibe aber gleich - sie ziele auf eine rasche, kostensparende Vermarktung.

Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Mitglied im Führungsstab der EMA, sieht die Entwicklung kritisch: Beschleunigte Zulassungen dürfe es nur für die Therapie schwerer Erkrankungen geben, für es keine wirksamen Alternativen gebe. Die Zulassung von Medikamenten bei einer geringeren Evidenz aus klinischen Studien sei zudem mit höheren Risiken verbunden.

Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und ebenfalls Mitglied im EMA-Board, betont dagegen den Patientennutzen: »Beschleunigte Zulassungsverfahren eröffnen die Chance, neue wirkungsvolle Therapieoptionen schneller verfügbar zu machen. Deshalb treiben wir diesen Trend auf europäischer Ebene engagiert, aber mit Augenmaß voran«. Es gälten die gleichen strengen Zulassungskriterien wie in allen anderen Verfahren. Die Aussagen der EMA-Vertreter legen nahe, dass große Unklarheit darüber besteht, wie weit das adaptive Konzept greifen soll.

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