Ein cleverer Schachzug

Bernd Zeller über den Majestätsbeleidigungsparagrafen, sexistische Werbung und den bestangezogenen Mann im Land

  • Lesedauer: 3 Min.

Unser heutiger Bericht befasst sich zur allgemeinen Überraschung nicht mit Jan Böhmermann. Das Thema ist durch, die Kanzlerin hat bekanntgegeben, dass der Majestätsbeleidigungs-Paragraf im Strafgesetzbuch, den viele Verfassungsrechtler für grundgesetzwidrig halten, 2018 gestrichen werden soll. Vorher ist es leider nicht möglich, weil so etwas erst den Dienstweg durch die Talkshows gehen muss. Bis der Erdogan-Fall vor dem Bundesgerichtshof landet, ist der Tatbestand entfallen, das ist ein cleverer Schachzug der Kanzlerin, die dann womöglich immer noch Kanzlerin ist, voraussichtlich mit den Grünen. Sie hat es mal wieder allen gezeigt und alle hereingelegt, denn die strafrechtlichen Ermittlungen lässt sie erst einmal zu, wie von Erdogan gefordert und mit Rücksicht auf die hier lebenden ehemaligen Türken, die zu Erdogan noch immer ein emotionales Verhältnis haben könnten.

Darauf wäre wohl niemand sonst gekommen. Man gibt dem Sultan scheinbar klein bei und lässt ihn hintenherum voll auflaufen. Damit rettet sie Jan Böhmermann, um den es hier nicht geht.

Sie hätte ja auch in diplomatischer Behutsamkeit sagen können, sie braucht das Verfahren nicht zuzulassen, weil der Paragraf ohnehin abgeschafft wird. Aber dann hätten weiterhin die falsch verstehenden Anhänger Erdogans für eine Bedrohungslage gesorgt, und die kann der Rechtsstaat nicht wollen. Was wir wollen, ist, im Falle einer Gewalttat zu diskutieren, wie weit das Opfer gehen durfte. Gern diskutieren wir schon vorher, was zum Beispiel Satire dürfe und wie weit sie gehen kann. Auf die Idee, darüber zu debattieren, wie weit etwa Religion gehen dürfe oder ob Erdogan so weit gehen darf, seine Leute nicht von Gewalt und Drohung zurückzuhalten, kommen wir nicht, und das ist richtig, denn wir möchten uns überlegen fühlen und nicht als potenzielle Opfer.

Sensibilisiert müssen wir zudem feststellen, dass das Risiko für einen Staatschef, durch ein Schmähgedicht verletzt zu werden, ungleich höher ist als für einen gewöhnlichen Bürger.

Merkel hätte natürlich sagen können, wenn Erdogan nicht geschmäht werden will, soll er sich an seine eigene Presse wenden. Doch das wäre nicht nur undiplomatisch, sondern auch unbotmäßig gewesen. Manche Kritiker bezeichnen die Entscheidung als Kniefall, doch das ist völlig absurd, denn wie kann jemand, der auf dem Boden liegt, auf die Knie fallen.

Genützt hat das Ganze Jan Böhmermann, aber um den geht es hier nicht. In unserem heutigen Bericht geht es um das Vorhaben von Verbraucherschutzminister Heiko Maas, die Verbraucher vor dem Verbrauch von Waren und Dienstleistungen zu schützen, die mit sexistischer Reklame beworben wurden. Überraschenderweise will er nicht die Verbraucher bestrafen oder auf Facebook sperren, sondern die sexistische Werbung verbieten, die sehen schließlich alle, nicht nur diejenigen, die sich dadurch angesprochen fühlen. Heiko Maas wurde von der Presse zum bestangezogenen Mann Deutschlands gekürt, was ein Kompliment für seinen Anzug bedeutet, der Minister aber gern auf sich bezieht, da Lob in der Politik so selten ist. Wir können davon ausgehen, dass er sich für seine Kleidung nicht durch erotisierende Reklame entschieden hat. Das Verbot sollte nicht so weit reichen, dass Heiko Maas nicht mehr auf Wahlplakaten erscheinen darf.

Das Anliegen ist untadelig, besonders, wenn man bedenkt, dass man nach dem Geldausgeben aus erotischer Motivation und dem Erwerb der mit sexueller Stimulation dargebotenen Ware keineswegs im geweckten Bedürfnis bedient wurde, was zu Frustration und Ausgrenzungsgefühlen führt, woraus wiederum Wut und noch mehr Frust resultieren. Das können wir nun gar nicht brauchen, weder wir als Kunden noch wir als übrige Gesellschaft.

Weiterhin verboten wäre mit der Maasschen Regelung das Gedicht von Jan Böhmermann, aber um den geht es hier nicht.

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