Wirtschaft im Öltief
Die russische Ökonomie kriselt wegen der niedrigen Weltmarktpreise
Müssen russische Meinungsmacher komplexe makroökonomische Sachverhalte allgemeinverständlich erklären, bemühen sie gerne mal Metaphern aus Medizin oder Meteorologie. Den Höhenflug, den die Kurse börsennotierter russischer Unternehmen und die an den Ölpreis gekoppelte Landeswährung vergangene Woche hinlegten, beschrieben sie daher als Zwischenhoch. Das nächste Sturmtief, so die Warnung, sei indes bereits im Anzug.
Gemeint war der Gipfel der Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) Sonntag in Katars Hauptstadt Doha. Es ging um eine Vereinbarung zum Einfrieren der Förderquoten, um den weltweiten Preisverfall zu stoppen. Doch der größte Exporteur - Saudi-Arabien - verweigerte überraschend die Unterschrift unter das Memorandum, Erzrivale Iran blieb dem Gipfel gar demonstrativ fern.
Russland ist zwar nicht Mitglied der OPEC, derzeit aber weltweit zweitgrößte Exporteur. Öl und Gas sind laut dem Moskauer Carnegie-Zentrum mit 67 bis 70 Prozent am Bruttoinlandsprodukt beteiligt. Auch der Staatshaushalt finanziert sich größtenteils aus Erlösen von Energieexporten.
Zwar hofft Energieminister Alexander Nowak, das Kartell der Ölscheichs werde sich beim nächsten Gipfel im Juni in Wien dennoch einigen. Wenn nicht, sei das indes auch kein Problem. Der Ölpreis hänge nicht von Absprachen, sondern von Angebot und Nachfrage ab und werde sich in Anbetracht einer freundlichen Großwetterlage Mitte 2017 auf einen »gerechten Preis« von 50 bis 60 US-Dollar pro Fass einpegeln.
Mit ähnlichen Zahlen jonglieren auch Analysten. Die USA als weltweit größter Konsument würden ihre Förderung kontinuierlich zurückfahren, so Alexei Jegorow von der Moskauer Promswjazbank. Die Frage laute daher nicht, ob die Nachfrage und damit der Ölpreis steigt, sondern wann.
Kollegen und kritische Kolumnisten sind weniger optimistisch. Um sich von Ölpreisverfall und Rezession zu berappeln, glaubt der unabhängige Finanzexperte Daniil Kirikow, brauche Russland selbst bei günstigen Rahmenbedingungen mindestens vier Jahre. Auch werde die Wirtschaft auf dem derzeitigen Niveau verharren, die Stagnation erst spät in Wachstum umschlagen. Die Russen geben inzwischen über 50 Prozent ihres Einkommens für Grundnahrungsmittel aus.
Im September wird die Duma neu gewählt, im März 2018 der Präsident. Die Kassen für Wahlkampfgeschenke sind aber leer. Bei seiner alljährlichen Bürgersprechstunde am Donnerstag verzichtete Kremlchef Wladimir Putin daher erstmals nicht nur auf Zusagen neuer sozialer Wohltaten, sondern auch auf Garantien für Besitzstandswahrung. Nicht einmal der Antikrisenplan der Regierung, warnt die »Nowyje Iswestija«, lasse sich ohne Zugriff auf die eiserne Reserve des Präsidenten umsetzen. Deren Bodensatz würden die Kassenwarte womöglich schon Mitte 2017 zusammenkratzen, sollten die Ölpreise stagnieren oder gar auf unter 30 Dollar pro Barrel sinken, warnt das Massenblatt »Moskowski Komsomolez«.
Fallen die Ölpreise, fallen auch die Wechselkurse. Auch Zentralbankchefin Elvira Nabiullina verfolgt die Entwicklungen daher mit Sorge. Ein schwacher Rubel, warnt sie, würde das Entstehen von »Spekulationsblasen« und die Flucht in den Dollar begünstigen.
Dazu kommen außenpolitische Verwerfungen. Seit dem Fall der Sanktionen liefert Iran Russland einen harten Konkurrenzkampf auf dem internationalen Ölmarkt. Damit aber kommt auch das Gerangel um Einfluss in der Kaspi-Region und im Südkaukasus erneut auf Touren. Gefährdet ist zudem das fragile Bündnis beider Staaten in Syrien. Auch Moskaus junge Freundschaft mit Saudi-Arabien und damit milliardenschwere Rüstungslieferungen könnten am Kampf um Ölmarktanteile scheitern.
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