Testfall Kindermedikamente

Von 2007 an müssen Arzneien für die kleinen Patienten in speziellen klinischen Studien geprüft werden

  • Anja Garms
  • Lesedauer: 4 Min.
Wenn Eltern ihren Kindern Medikamenten verabreichen, tun sie das in dem besten Glauben, die Arzneimittel seien umfassend geprüft und mithin sicher. Weit gefehlt. Zwar wird jedes Medikament vor seiner Zulassung über mehrere Jahre in klinischen Studien auf Risiken und Nebenwirkungen getestet, die Wirkung auf Kinder wird aber bislang in der Regel nicht besonders untersucht. So ist auf Kinderstationen im Krankenhaus bislang gerade mal die Hälfte aller eingesetzten Präparate speziell für die jeweilige Altersgruppe geprüft und zugelassen, auf Frühgeborenen-Stationen unter Umständen nur noch jedes zehnte Präparat. Das soll nun anders werden. Anfang nächsten Jahres tritt eine EU-Verordnung in Kraft, nach der Pharmafirmen künftig klinische Studien an Kindern planen und durchführen müssen, bevor sie einen Antrag auf Zulassung eines neuen Medikaments stellen können. Ein richtiger Ansatz, befanden kürzlich Kinderärzte, Politiker und Vertreter der Pharmaindustrie auf einem Experten-Workshop in Berlin, der von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller veranstaltet wurde. »Klinische Studien mit Kindern sind klinische Studien für Kinder«, sagte etwa Fred Zepp, Sprecher des »Paed-Net«, eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Pädiatrischen Netzwerks. »Sie müssen jetzt vermehrt mit nach Dringlichkeit ausgewählten Substanzen durchgeführt werden.« Dadurch, so sind sich die Experten einig, werde nicht nur die Sicherheit der behandelten Kinder erhöht, sondern endlich auch ein alltägliches Dilemma der Ärzte beendet. Die stehen nämlich bislang vor der Entscheidung, ob sie kranken Kindern Präparate verschreiben, die nicht eigens für sie zugelassen sind oder - aus Angst vor unerwarteten Nebenwirkungen - darauf verzichten und so ihren Patienten möglicherweise hilfreiche Arzneien vorenthalten. Dabei sind Erwachsenen-Medikamente nicht etwa grundsätzlich ungeeignet für Kinder. Das Problem besteht vielmehr darin, die für Kinder optimale Dosis herauszufinden. Die kann nämlich nicht einfach vom Bedarf eines Erwachsenen auf das Körpergewicht von Kindern heruntergerechnet werden, da ihr Stoffwechsel die Medikamente oft anders verarbeitet. Häufig ist auch allein schon die Darreichungsform für Kinder ungeeignet. Die Weigerung von Kindern, Spritzen oder bittere Pillen zu ertragen, ist da nur eine Seite des Problems. Tabletten etwa sind für Neugeborene schlichtweg ungeeignet. Ärzte müssen diese dann auf eigene Faust in Flüssigkeit auflösen - und ihren Patienten davon eine aus der Erfahrung abgeleitete Dosis verpassen. Auch solche Probleme sollen dank der nun verpflichtenden Kinderstudien bald der Vergangenheit angehören. Dass das Interesse an Kinderstudien bislang eher verhalten war, liegt wohl vor allem daran, dass klinische Studien aufwändig und teuer sind. Bei Kindern kommt hinzu, dass mitunter für ein und dasselbe Präparat gleich mehrere Studien für die unterschiedlichen Altersgruppen nötig sind. Die EU-Verordnung sieht nun vor, den Mehraufwand der Pharmaindustrie quasi durch finanzielle Entschädigungen abzufangen: Die Unternehmen erhalten für das getestete Medikament einen um sechs Monate verlängerten Patenschutz - und damit Schutz vor billigen Nachahmerprodukten. »Wir sehen in der Verordnung einen guten Kompromiss zwischen Fördern und Fordern«, zeigt sich denn auch Torsten Strohmeyer vom Unternehmen GlaxoSmithKline zufrieden. Allerdings bringen klinische Studien an Kindern eine Reihe von praktischen, vor allem aber auch von ethischen Problemen mit sich. Woher sollen die Kinder für die geplanten Studien kommen? Wer entscheidet über eine Studienteilnahme? Und was ist, wenn ein teilnehmendes Kind plötzlich nicht mehr mitmachen will? Wie lässt sich verhindern, dass - sei es aus Profitgier oder aufgrund von schlechter Organisation - überflüssige oder doppelte Studien durchgeführt werden? Dies sind nur einige der zahllosen, zweifellos gewichtigen Fragen. Gut zehn Jahre hat es denn auch gedauert, bis das Thema »Kinderarzneimittel« die politische Agenda verlassen hat und nun in Form der EU-Verordnung klinische Wirklichkeit wird. Darin ist zunächst einmal festgelegt, dass zum Schutz der Kinder Wirkstoffe erst dann getestet werden, wenn bereits Erfahrungen aus Studien mit Erwachsenen vorliegen. Oberstes Kontrollgremium ist die in London ansässige Europäische Arzneimittelagentur (EMEA). Ein bei dieser Behörde eingerichteter Pädiatrieausschuss begutachtet das so genannte »pädiatrische Prüfkonzept«, welches die Unternehmen einreichen müssen. Dieses Dokument enthält neben einem ausführlichen Zeitplan vor allem Angaben dazu, inwieweit die geplanten Maßnahmen im Hinblick auf »Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit« für Kinder geeignet sind. Der Ausschuss erstellt zudem eine Art Prioritätenliste, in der die zu testenden Medikamente aufgeführt werden und regelmäßig festgelegt wird, in welchem Bereich dringender Forschungsbedarf besteht. Eine umfassende Datenbank bei der EMEA soll dafür sorgen, dass unnötige Doppeltestungen derselben Medikamente vermieden werden. Für die korrekte Planung und Durchführung der Studien sind zudem die Ethikkommissionen der klinischen Zentren verantwortlich. Reicht das, um bei Eltern kranker Kinder Vertrauen zu wecken und Einsicht für die Notwendigkeit der Studien zu schaffen? »Grundsätzlich haben Eltern, wenn sie gut aufgeklärt werden, eine sehr differenzierte Sicht auf solche Studien«, sagt Hermine Nock vom Bundesverband Herzkranker Kinder. Allerdings müssten sie wiederholt über das Vorhaben und eventuelle Gefahren aufgeklärt werden, da sie sich angesichts der Erkrankung ihres Kindes in einer extremen Stresssituation befänden und häufig selbst einfache Inhalte nicht gleich verstünden. Um Vertrauen zu schaffen, sei vor allem auch eine starke Präsenz von Patientenvertretern in den Kommissionen sowie ein offener Umgang mit Fehlern wichtig.
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