Nikosia. Die letzte geteilte Hauptstadt

Wie sich Einheimische und Touristen mit der innerzyprischen Grenze arrangieren (müssen)

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein junger Mann versucht sich mit Kunststückchen auf dem Fahrrad. Aus einer Bar dringt leise Musik. In den Modeboutiquen laufen aufgestylte Verkäuferinnen aufgeregt hin und her. Bei McDonald's duftet es nach Pommes Frites. Auf der Lindras Street in Nikosia geht es zu wie in fast jeder Fußgängerzone einer modernen europäischen Hauptstadt.
Doch der Schein trügt. Denn in eine bestimmte Richtung hin nimmt die Qualität der Straße deutlich ab. Es wird merklich dunkler, obwohl die Sonne scheint. Leuchtreklame flackert nur noch sporadisch auf. Zerfallene Häuser prägen auf einmal das Bild. Die Kneipe »Romios« ist die letzte, bevor die Fußgängerzone urplötzlich in einer Sackgasse endet.
»Levkosia. The last divided capital« (Nikosia. Die letzte geteilte Hauptstadt) ist auf einem großen Schild geschrieben, das an einem heruntergekommenen Gebäude, an dem die Fenster fehlen, angebracht ist. Im Erdgeschoss beherbergt es einen Gedenkraum, der an die Teilung Zyperns in einen griechischen und einen türkischen Teil erinnert. Bilder mit weinenden Kindern und Frauen zeugen vom Leid des einmonatigem Bürgerkrieges 1974, als türkische Truppen auf der Mittelmeerinsel landeten und seit dieser Zeit über 35 Prozent des 240 Kilometer langen und 96 Kilometer breiten Landes besetzt halten. Neben dem vergitterten Eingang führen zwischen Blümchenkübeln zwei Stahltreppen auf einen Aussichtspunkt. Der Blick vom griechischen Teil Nikosias in den türkisch besetzten ist ernüchternd. Die gleiche Straße dort drüben liegt seit 1974 im Dornröschenschlaf. Geschäfte und Wohnhäuser sind ebenso verwaist wie zerfallen. Wo einst die Menschen bummelten, hat sich die Natur ihr Terrain zurückerobert. Die Lindras Street sieht wie eine Wiese aus.
Betreten und Fotografieren des Geisterviertels ist verboten. Anschauen ist aber sehr wohl gestattet. Für Kinder gibt es sogar Sehschlitze im unteren Teil des Bretterverschlages. So ganz harmlos scheint der Grenzposten jedoch nicht zu sein. Warum hätte der zyprische Soldat sonst ein Maschinengewehr übergeschnallt?
Immerhin steht der junge Mann jedem Touristen für Fragen zur Verfügung. »Mit den Menschen im türkischen Teil Zyperns habe ich kein Problem, nur mit den Soldaten aus der Türkei«, sagt der 18-Jährige, der seinen Namen nicht nennen darf. Zwei Jahre lang muss der in Nikosia Geborene Dienst an der innerzyprischen Grenze ableisten.
Während der Zyprer mit anderen Touristen spricht, schaue ich auf den rund 100 Meter entfernten Grenzposten im türkischen Teil Nikosias. Die dazugehörende blaue Treppe passt irgendwie nicht in das triste Grau ihrer Umgebung. Dasselbe mag für das Spruchband gelten, das in diesen Sekunden auch mich meint: »Die Leute, die auf dem Wall der Schande stehen, schauen auf die Brücke des Friedens.« Ob man mit derartigen Weisheiten in die Europäische Union aufgenommen wird? Solange an der Grenze allerdings Soldaten dreier Parteien ihren Dienst verrichten müssen, scheint der Gedanke vom vereinigten Europa in Zypern eher ein Wunschtraum zu bleiben. Die geteilte Insel besitzt eine 217 Kilometer lange Demarkationslinie. Im Norden stehen türkische und türkisch-zyprische Einheiten, im Süden griechische und griechisch-zyprische. Dazwischen liegt ein wenige Meter bis sieben Kilometer breiter Pufferstreifen, der von Soldaten der Vereinten Nationen bewacht wird. »UNO-Soldaten laufen jeden Tag auf der Straße genau in der Mitte zwischen den Grenzposten Patrouille und schlichten gelegentlich Streitigkeiten«, hatte mir der zyprische Soldat erzählt. Er berichtete auch von kleineren Provokationen durch die türkische Seite.
Innerhalb einer Stunde besuchen rund 200 Menschen den Aussichtspunkt. Natürlich profitieren auch einige von der geteilten Stadt, wie der Wirt vom »Romios« der nur 20 Metern von der Grenze entfernt liegenden Kneipe. Dennoch meint er, dass ein Durchgangsverkehr die Einnahmen noch steigern würde.
Bernd Stange, deutscher Trainer des zyprischen Fußball-Erstligisten Apollon Limassol stellte fest, »dass sich der türkische und griechische Teil Zyperns wie Tag und Nacht unterscheiden.« Auf jeden Fall habe ich nun eine Vorstellung davon, wie verständnislos sich die Menschen Westberlins vor 1989 beim Blick nach Ostberlin gefühlt haben müssen.

Fremdenverkehrszentrale Zypern, 10719 Berlin, Wallstraße 27, Tel: (030) 23 45 75 90
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