Handschläge ohne Debatte

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 3 Min.
In einem Klassenraum verweigern Schüler den Handschlag. Im anderen schlägt eine Lehrerin zu. Der eine Fall erregt weltweite Empörung. Der andere nicht.

Jahrelang hatte sie ihre Schüler verprügelt. Zu zweieinhalb Jahren Haft war sie dafür schon verurteilt worden, aber selbst jetzt, beim Berufungsprozess vor dem Augsburger Landgericht, rechtfertigte die Fundamentalistin noch die Misshandlungen. Im Alten Testament werde das Züchtigen von Kindern schon befohlen. Das Schlagen von Kindern sei für sie »nie eine große Sache gewesen«.

Keine große Sache scheint der Berufungsprozess gegen die 54-jährige christlich-fundamentalistische Prügellehrerin, der vergangene Woche in Augsburg begann, auch für viele Medien gewesen zu sein. Keine überregionale Tageszeitungen machte die Vorfälle an einer bayerischen Schule zum Titelthema. Kein Politiker nahm den Fall zum Anlass, um den Kulturkampf zwischen säkularem Abendland und integrationsunwilligen Religiösen zu beschwören.

Genau das hatten die Vorfälle in einem Klassenzimmer rund 350 Kilometer südwestlich drei Wochen zuvor noch ausgelöst. Auch in einer Sekundarschule im schweizerischen Therwil ging es um den Umgang mit religiösen Minderheiten, die Frage von Integration und das Respektverständnis zwischen Lehrern und Schülern. Nur geschlagen hatte im schweizerischen Therwil niemand. Und genau das war für viele das Problem: Weltweit hatten Medien über zwei muslimische Schüler berichtet, die ihrer Lehrerin nicht die Hand geben wollten. »Eine Kampfansage an unsere Ordnung«, befand der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Lengsfeld. »Schweiz ohne Gott«, prophezeite eine Schweizer Talkshow zur Handschlagdebatte und die »Washington Post« titelte: »Switzerland Shocked«.

In Bayern, wo die Lehrerin jahrelang in einer Schule der christlichen Endzeit-Sekte »Zwölf Stämme« unterrichtete, zeigte sich hingegen niemand schockiert. Man mag zu Recht einwenden, dass es in Therwil um mehr als den Einzelfall geht: Empörung gab es nicht nur wegen des Verhaltens der Schüler, sondern weil dieses die Schulleitung schließlich billigte. Kritiker verwiesen darauf, dass der nicht gegebene Handschlag nur die Spitze des Eisbergs und das eigentliche Problem das religiöse Umfeld der Schüler sei: Ihr Vater, ein vor 20 Jahren aus Syrien eingewanderter Imam, arbeite in einer Moschee, in deren Bau auch saudische Gelder geflossen seien.

Doch selbst wenn man davon absieht, dass ein nicht gegebener Handschlag auch in der negativsten aller Deutungen nichts im Vergleich zu jahrelanger Misshandlung ist; selbst wenn man ungeachtet des konkreten Falls nur auf das »große Ganze« verweist, erklärt dies nicht die mediale Ungleichbehandlung von Therwil und Klosterzimmern. Denn auch in Fragen des religiösen Fundamentalismus, der Einflussnahme radikaler Gruppen aus dem Ausland und des behördlichen Wegschauens ist der Fall der christlichen Lehrerin gravierender als der Handschlagstreit.

Von christlich-fundamentalistischen Gruppen aus den USA finanziert betreiben die »Zwölf Stämme« seit mindestens 2006 ihre eigene religiöse Parallelkultur. Auf Gut Klosterzimmer werden Kinder dort in einer streng fundamentalistische Auslegung der Bibel unterrichtet: ohne Evolutionstheorie, ohne staatlich ausgebildete Lehrer, ohne dass die Eltern der staatlichen Schulpflicht nachkämen. Dafür mit Zustimmung der Schulbehörde. Spätestens seit 2012 sind Berichte über die Misshandlungen bekannt, doch bis heute kann die Sekte ihren Endzeit-Hof betreiben. Und bis heute bleibt die Empörung darüber aus, dass Lehrer dort Kindern nicht den Handschlag verweigern.

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