Nur eine von zehn Barrieren fällt

Bundestag beschließt Novelle zum Behindertengleichstellungsgesetz - Kritik von Betroffenenverbänden

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 2 Min.
Alle Bundesbehörden müssen künftig für behinderte Menschen ohne Hilfe zugänglich sein - das Kino um die Ecke ist dazu nicht verpflichtet.

Für Menschen mit Behinderung soll es in Ämtern und Behörden des Bundes mehr Barrierefreiheit geben. Mit den Stimmen von SPD und Union hat der Bundestag am Donnerstag eine Novelle zum Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verabschiedet. Diese verpflichtet die Behörden, alle baulichen Hindernisse zu beseitigen. Außerdem ist vorgesehen, mehr Angebote in Blindenschrift und mit Untertiteln zu machen. Behördentexte sollen für Behinderte in spezieller »leichter Sprache« zur Verfügung stehen. Auch ist die Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei der Bundesbehindertenbeauftragten geplant, an die sich Behinderte wenden können, wenn sie sich diskriminiert fühlen.

Nach dem seit 2002 geltenden BGG musste der Bund bisher nur bei Neubauten auf Barrierefreiheit achten. Nun sollen auch Hindernisse an bestehenden Gebäuden abgebaut werden.

Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles (SPD), betonte in der Bundestagsdebatte, dass das BGG nur ein erster Schritt gewesen sei: Die Novelle »wird nicht das einzige Gesetz bleiben, das die Inklusion in diesem Land vorantreibt«. Nahles wehrte sich gegen Kritik an dem Vorhaben. Inklusion sei ein Prozess, »bei dem es vorangehe«. Für Katrin Werner (LINKE) geht das Gesetz dagegen »voll vorbei an der Lebensrealität der Menschen«. Die Verbesserungen in den Behörden beträfen nur »zehn Prozent der Lebensrealität der Menschen«. Die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer bedauerte, dass die Bundesregierung die »Möglichkeit zu einem Meilenstein« habe liegen lassen: »Menschen mit Behinderung haben in diesem Land noch nie etwas geschenkt bekommen. Alles, was sie erreicht haben, haben sie sich hart erkämpft.«

Um Nachbesserungen bei der Gesetzesvorlage zu erreichen, hatten sich Behindertenaktivisten in der Nacht zu Donnerstag in der Nähe des Parlaments angekettet. Sie harrten dort bis zur Verabschiedung der Novelle aus. Die Geschäftsführerin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland und Mitinitiatorin der Aktion, Sigrid Arnade, erklärte: »Wir fordern, dass auch private Anbieter zur Barrierefreiheit verpflichtet werden.« Auch nach Verabschiedung des Gesetzes müssten Gaststätten, Restaurants oder Kinos keinen Zugang für Menschen im Rollstuhl ermöglichen, erklärte Arnade. Die Regierungskoalition lehnte einen Änderungsantrag der Grünen im Bundestag ab, der gewerbliche Einrichtungen zur Barrierefreiheit verpflichten wollte.

Kritik kam auch vom Sozialverband VdK Deutschland. Das Ziel, Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen des Landes herzustellen, werde nicht erreicht, obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention ihre Herstellung sowohl durch öffentliche als auch durch private Akteure fordere, so Präsidentin Ulrike Mascher.

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