Falsche Vorstellung von Familien

Lokalpolitik entscheidet über Eltern und Kinder oft ohne Kenntnis heutiger Bedürfnisse

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.
Pro Jahr spendiert das Land Brandenburg 50 000 Euro für die Bündnisse für Familien. Rund 50 dieser Bündnisse gibt es hier.

Wenn am 15. Mai weltweit der »Tag der Familie« begangen wird, dann kann sich Brandenburg als »gut aufgestellt« betrachten, sagte am Freitag Sozialministerin Diana Golze (LINKE). Rund 50 lokale Bündnisse für Familien stellen im laufenden Jahr ihre Tätigkeit unter das Motto »Mehr Zeit für das, was zählt«.

Seit Jahren gibt es diese Bündnisse, die inzwischen von einer Landeskoordinierungsstelle betreut werden, und sie sind mit Problemen konfrontiert, die sich seither »noch zugespitzt« haben, erklärte die Ministerin. Prozentual nehme der Anteil von jungen Müttern und Vätern in den Kommunen immer weiter ab, es sei für sie schwieriger, sich in der Lokalpolitik mit ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Der Begriff »Familie« wird nicht mehr so eng gesehen. Neben dem klassischen Vater, Mutter, Kind sollen damit zugleich alle anderen Formen des Zusammenlebens und auch des Getrenntseins bezeichnet sein.

Das Bündnis für Familien in der Stadt Guben (Spree-Neiße) habe Angebote »von der Nabelschnur bis zur Pflegebegleitung«, sagte Koordinatorin Kerstin Leutert-Glasche. Sie berichtete davon, dass der enorme Schwund jüngerer Menschen in Guben schleichend, aber unaufhaltsam eine neue Situation schaffe, und die Frage nach dem Kitaplatz der Frage nach dem Platz im Pflegeheim weiche. Da junge Familien in Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen immer weniger präsent sind, werde gelegentlich »über ihren Kopf hinweg« entschieden. Ältere Menschen urteilen dabei nach Maßgaben aus ihrer Jugend, ohne immer genau zu wissen, wie sich die Zeiten geändert haben und was heute erforderlich wäre.

Die Familienbündnisse haben mit der Zuwanderung der Flüchtlinge eine neue Aufgabe gefunden. Marina Hebes vom Bündnis für Familien in Wittenberge (Prignitz) richtete den dringenden Wunsch an die Politik, die Ehrenamtler mit den Problemen der Eingliederung nicht allein zu lassen. »Es fehlen Dolmetscher.« In den Schulen gebe es Konflikte zwischen Kindern aus Syrien und Kindern aus Afghanistan. Man müsste mit den Eltern darüber reden, aber wer sei dazu schon in der Lage? Hebes erwähnte traumatisierte Menschen, die dringend Fachärzten in Berlin vorgestellt werden müssten, um sie von Selbstmordversuchen abzuhalten. Es sei zwar erfreulich, dass sämtliche Flüchtlinge in der Prignitz mit Wohnungen versorgt werden konnten, »wo sie sich sicher und zuhause fühlen«. Gleichzeitig würden dadurch aber die Wege für die Betreuer länger, es könne nicht via Aushang im Asylheim informiert werden.

Hebes mahnte eindringlich, die Einheimischen nicht zu vergessen. Sie verwies auf eine Grundschule in Wittenberge, in der 60 Prozent der Kinder aus Hartz-IV-Haushalten stammen. Auch diese Familien haben Probleme, mit denen sie nicht allein gelassen werden dürfen, meint Hebes. Es seien zum Teil gravierende Probleme. Der soziale Frieden dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Kritisch äußerte sich Ministerin Golze zu jüngst bekannt gewordenen Beispielen, bei denen Hotels und Zeltplätze damit werben, »kinderfrei« zu sein. Es sei nicht hinnehmbar, wenn Kinderlärm mit dem Krach von Baumaschinen gleichgesetzt werde. So lange es sich bei den kinderfreien Hotels und Zeltplätzen um Ausnahmen handle, möge es hingehen, aber: »Ich fürchte, dass sich hier ein Trend abzeichnet.«

Inzwischen gibt es deutschlandweit 670 lokale Bündnisse für Familie, die zunächst vor allem mit dem Ziel gegründet wurden, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. In Brandenburg stehen pro Jahr 50 000 Euro vom Land bereit. Jedes einzelne Bündnis hat eine Anschubfinanzierung von 10 000 Euro erhalten. Die Bündnisse organisieren Feste, beraten und helfen bei Behördengängen.

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