- Kultur
- »Cuntry« von Cleo Reed
Neuester US-Politpop gegen Teile und herrsche
»Cuntry« von Cleo Reed ist ein klassenkämpferisches Soul-R’n’B-Hip-Hop-Hybrid
Bevor es losgeht mit der Musik, ein kurzer Schlenker zum die sozialen Kämpfe weiterhin erschwerenden Kulturkampf. Es gibt wohl nur wenig, was die Linke in den westlichen Ländern langfristig so sehr spaltet und lähmt wie der als unüberwindbar konstruierte Gegensatz zwischen Identitäts- und Klassenpolitik. Eine zeitgemäße Form von Teile und herrsche. Die Herrschenden, nach wie vor – bei allen klasseninternen Konjunkturen und Entwicklungen, die aber nie die Form von autodestruktiven Kämpfen annehmen – eine recht homogene Gruppe, freuen sich. Die Beherrschten reiben sich auf, und irgendwann schmelzen dann alle bei 50 Grad weg, und die Ärmsten natürlich zuerst.
Auf dem Album »Cuntry« der afroamerikanischen Sängerin* Cleo Reed aus New York finden sich Stücke, die zusammengenommen so etwas wie eine zeitgemäße Form des politischen Liedes darstellen. Auch weil in den Texten Klassenbewusstsein, Arbeitskampf, Feminismus und Queerness nebeneinander laufen und sich immer wieder überkreuzen, als wären sie Teil ein und desselben Kampfes. Was sie ja auch sind.
Bisher erschien »Cuntry« nur als Download und Stream, als Self-Release, ohne Label. Passt aber auch, »Self-Release«. Die Musik wirkt befreiend in allerlei Hinsichten. Reed knüpft an die radikal-politische Strömung der amerikanischen Folk-Tradition an, also etwa bei Woody Guthrie. Und geht von dort aus mit zwölf Songs einmal durch die Geschichte der Black Musik in den USA, zumindest der Teile, die sich in Songform artikuliert haben. Hip-Hop, R’n’B, Blues, Soul – auf der ersten Albumhälfte vor allem zusammengehalten von Akustik- und sonstigen Gitarren, die das Gerüst bilden, immer wieder zärtlich, aber nie fragil.
Auf der zweiten Hälfte wird das Album dann beat-lastiger. In den Lyrics herrscht Arbeits-, Klassenkampf und der Kampf gegen männliche Herrschaft und Heteronormativität, alles gesehen durch die Augen und besungen mit der Stimme einer schwarzen queeren Künstlerin. Im Opener »Salt n’ Lime« wird ganz klassisch das Leid der entfremdeten Arbeit und der Ausbeutung in prekären Jobs beschworen: »Life on the clock’s like eating with your eyes«. Dann Party, um den Dreck loszuwerden (»Tonight every drink’s on me«), um dann am Ende eine Art Self-Empowerment-Folk-Mantra anzustimmen: »I’m always good / for putting my black queer ass first«.
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Das Stück dauert knapp neun Minuten und enthält vieles von dem, was die Musik von Reed radikal eigensinnig und überraschend wirken lässt. Das gezupfte Akustik-Stück wandelt sich ohne Brüche, in einem einzigen Fluss, in einen klassenkämpferischen Soul-R’n’B-Hip-Hop-Hybrid. Reed amalgamiert wie gesagt so einiges in ihrer Musik, aber da hier nichts montiert wird, vielmehr alles – Genres, Stimmen, Instrumente – unablässig ineinander- und auseinanderfließt, hat die Musik nichts Crossoverlastiges. Sondern wirkt wie ein homogenes Bild, in dem aber alles Abweichende, Seltsame seinen Platz finden kann.
Das Ineinanderfließen auf der Soundebene, die immer eine zärtliche und damit solidarische Tönung abstrahlt (die dann allerspätestens im zusammen mit dem Rapper Billy Woods eingespielten »Strike!« und in »No Borders« explizit wird). Die Soundästhetik findet ihre Entsprechung in den Body- und sonstigen Politics, die sich auf »Cuntry« artikulieren. Die kreisen um Solidarität und das Feiern von Eigensinn. In der Verbindung von beidem, nicht nur behauptet, sondern spürbar gemacht in der Musik, liegt der Schlüssel zur politischen Schönheit dieses an Schönheit überreichen Albums.
Cleo Reed: »Cuntry« (self-released – zu finden zum Beispiel auf bandcamp.com)
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