Geisterbahn

Driftmachine

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Maschinen summen, Bohrer dröhnen, Pumpen ächzen, Sirenen fiepen, Räderwerke greifen sanft schnaufend ineinander, mahlende Geräusche erklingen. Andreas Gerth (Tied And Tickled Trio) und Florian Zimmer (Saroos) arbeiten mit modularen Synthesizern. Man imaginiert klemmende Fahrstuhltüren, mannsgroße Elektrogeräte mit Fehlfunktionen, bisher nur aus unseren Alpträumen bekanntes elektrisches Operationsbesteck. Doch wie von Zauberhand geleitet, bilden all die Geräusche eine heimliche Ordnung, fügen sich in einen magischen Strom der Klänge, der zu einem feingesponnenen, wenn auch beunruhigenden Muster zusammenführt, was zuvor noch wie durch Zufall hingeworfen erschien. Auch düster-bedrohliche Halleffekte und Echos hat man nicht vergessen. Die unablässig vorwärtswummernden und feindselig schnalzenden Dub- und Bratzelbeats und ein wuchtiger Bass tun das ihre, um eine schöne, beklemmende John-Carpenter-Film-Atmosphäre zu vervollständigen.

Wir sind anscheinend in einer Geisterbahn gelandet, in der unser Wagen im Dunkeln immerzu die Kurven entlangfährt und in immer neue Abgründe und versteckt liegende Seitengänge der endlos erscheinenden Bahn hineinrumpelt, aber niemals erscheint ein Geist, und nirgends befindet sich der Ausgang. Oder womöglich wird irgendwo in dem unterirdischen Labor, dem Maschinenraum, in dem dieses famose Zeug aufgenommen worden zu sein scheint, gerade von eigens zu diesem Zweck abgerichteten Lohnsklaven eine Art Terminator oder Zeitmaschine zusammengeschraubt. Wer weiß.

Wenn ein Roman von Philip K. Dick Musik wäre, wäre er wohl diese. Der US-amerikanische Schriftsteller und Visionär Dick, Meister in der Vorwegnahme dystopischer Zukunftsverläufe, zu Lebzeiten verkannt, gilt heute als SF-Genie und der literarischen Moderne zugehörig. Die Gesellschaftsentwürfe in seinen Romanen, die oft in undurchschaubaren Überwachungsstaaten spielen, sind voller Rätsel und Fragen nach der Gewissheit bzw. Konstruiertheit der sogenannten Realität.

Und ja, genau: Wenn man sich nur tief genug hineinschraubt in diesen Dub-Techno, in diese Musik, mit allen Sinnen, dann scheint sich in gewisser Weise die Realität aufzulösen, scheint aus ihr ein einziges gewaltiges, mit geradezu manischer Hingabe geordnetes Rhythmenlabyrinth zu werden, aus dem trotz aller Ordnung niemand jemals herausfindet, weil es zu perfekt ist. Dann meint man nicht mehr hypnotische Rhythmenmuster zu hören, die von Menschen gespielt werden, sondern Menschen, die von hypnotischen Rhythmenmustern gespielt werden.

Die ideale Musik, um sie allein in einem vollständig abgedunkelten Zimmer zu hören. Kurz: das perfekte Album für den Sommer.

Driftmachine: »Colliding Contours« (Umor Rex Records / Morr Music)

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