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Heilbronnolulu oder Honoludwigshafen

Während sie in Norkorea ein Erholungsparadies sondergleichen aus dem Boden gestampft haben, stellt man sich hierzulande tot, wenn es um Visionen geht

Jegliche Bildunterschrift ist hier überflüssig.
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Kim Jong-Un wolle Nordkorea, so die »Frankfurter Rundschau«, »in ein schickes Urlaubsdomizil verwandeln. Der Anfang ist gemacht.« Einen riesigen Strandabschnitt an der Ostküste der nordkoreanischen Volksrepublik hat der geliebte Führer des populären Landes vor Kurzem offiziell als »Touristengebiet« eröffnet und eingeweiht. Der offizielle Name des gigantischen Badeorts, der 20 000 Vergnügungswillige beherbergen kann, lautet »Wonsan Kalma«.

Anfangs hätten sich überwiegend einheimische Reisende in die Naherholungsregion aufgemacht, »erfüllt mit der Freude, ein neues Niveau von Zivilisation zu erleben«, wie die Nachrichtenagentur KCNA berichtet. »Mehr als 400 künstlerisch gestaltete Gebäude säumen den weißen Sandstrand in perfekter Harmonie.« Es handelt sich gewissermaßen um ein modernes Prora. Oder besser: um eine sozialistische Variante des Timmendorfer Strands. Ermöglicht wurde diese Sensation »dank der Politik der Arbeiterpartei Koreas, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt« (KCNA). Vor einigen Tagen wurden bereits die ersten russischen Badegäste erwartet. »Aber jetzt ist erst einmal Badespaß in Nordkorea angesagt« (»Frankfurter Rundschau«).

Dem einen oder anderen Bundesbürger täte es mit Sicherheit auch einmal gut, »ein neues Niveau von Zivilisation zu erleben« und sich mit Freude erfüllen zu lassen.

Die naheliegende Frage muss natürlich lauten: Warum haben wir so etwas nicht im reichen Deutschland? Dem einen oder anderen Bundesbürger täte es mit Sicherheit auch einmal gut, »ein neues Niveau von Zivilisation zu erleben« und sich mit Freude erfüllen zu lassen, ohne dafür extra wegfahren zu müssen (und sich also entweder in umweltschädliche Flugzeuge zu setzen oder tagelangem, nervenzerfetzendem Autobahnstaustress ausgesetzt zu sein). Müssen tatsächlich immer erst die kommunistischen Systemkonkurrenten mit gutem Beispiel vorangehen, bevor hiesigen Politikern und »Entscheidern« ein Licht aufgeht?

Hierzulande muss der kleine Mann sein gesamtes über Jahre hinweg Gespartes zusammenraffen, um einmal im Leben ein paar Sonnentage in Formentera oder auf Kreta verbringen zu dürfen, wo er dann fragwürdiges Bier trinken muss und mit einem Großteil seiner Urlaubskasse die südeuropäische Sonnenschirmverleihmafia unterstützen darf.

Haben wir keine politisch-ästhetischen Visionäre, keine modernen, in die Zukunft weisenden Bauingenieure und Architekten hierzulande, keine aufgeweckten, nonkonformistisch denkenden Entrepreneure und mutigen Finanziers? Was ist nur aus unserer Nation geworden? Ein Volk von Zauderern, Nasebohrern, Leitzordnerbürokraten, Halbalphabeten und Smombies. Anstatt in Deutschland ein Badeparadies inklusive weißem Sandstrand zu errichten, pflastert man – in Zeiten der sich bereits deutlich bemerkbar machenden Klimakatastrophe – weiterhin stur jeden Zentimeter im Land mit sechsspurigen Autobahnen und gleichförmigen Hochhäusern zu, die nicht nur aussehen wie Legebatterien für Menschen.

Das Deutschland von heute: ein trauriges, bis in den letzten Winkel verbautes und zugebautes Land voller Beton, Smog und Abgaswolken. Malls, Fabriken, Lagerhäuser, Tiefgaragen, Parkhäuser, Autobahnbrücken, Schnellstraßen, Tankstellen und Baustellen. Ein Land, das man möglichst rasch durchfährt, weil man so schnell wie nur möglich weiter will, raus aus der Beton- und Abgashölle, irgendwohin, nur weg von hier. Wer ein Quäntchen Luft und Licht will, wird wohl früher oder später auswandern müssen.

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Dabei könnte es so einfach sein: Man müsste ja nur einen kaum genutzten, unansehnlichen oder wirtschaftlich bereits restlos ausgezuzelten Teil Deutschlands (und da dürften sich ja nach kurzer Beratschlagung etliche finden) zugunsten eines gewaltigen künstlich angelegten Sees entfernen. Unbrauchbare, ökonomisch leistungsschwache und/oder problematisch aussehende Gegenden und »Kleinstädte« könnten erfolgreich getilgt werden, und der so frei gewordene Grund und Boden könnte einem neuen Sinn zugeführt werden.

Das Ergebnis wäre eine Win-win-Situation: Die Menschen müssten dort nicht mehr wohnen, könnten unbürokratisch nach Suhl oder Vorpommern umgesiedelt werden, Deutschland würde aufregender und schöner werden, und das größte modernste Strandbad Europas würde, in perfekter Harmonie, innerhalb weniger Jahre auf totgeglaubtem Gelände erstehen wie Phönix aus der Asche.

Ich sehe dieses großartige Kulturerbe der Zukunft schon jetzt vor mir: Im Herzen Deutschlands, wo vorher noch ein deprimierendes Industriegebiet oder ein ausgeräumtes Braunkohlerevier vor sich hin weste oder eine überzählige Kleinstadt (Neumünster, Ludwigshafen, Heilbronn) wertvollen Platz beanspruchte, gleitet nun der Blick kilometerweit über sanft sich wiegende Wellen unter blauem Himmel, auf die gewaltigsten Wasserrutschen der Welt, künstlerisch gestaltete Gebäude an weißen Sandstränden und die ersten prächtigen Palmen auf deutschem Boden.

Ich bin mir nicht sicher, ob, um einer besseren Zukunft willen, nicht besser heute als morgen mit den Planungen begonnen werden sollte.

Sicher ist jedenfalls: Wenn der oder die künftige Bundeskanzler*in einst das rote Band durchschneiden und sagen wird: »Hiermit übergebe ich feierlich das Strandparadies Honoludwigshafen (oder Heilbronnolulu) der deutschen Öffentlichkeit«, werde ich unter den Ehrengästen sein. Als jener nicht genug zu preisende Visionär, der in seiner Kolumne immer die Wünsche der Menschen in den Mittelpunkt stellte und die Idee zu dieser architektonischen Großtat hatte.

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