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Ein toxisches Trauma
»Die Niederschlagung des Bauernkriegs 1525«: Peter Seibert über deutsche Gewaltgeschichte
Ein halbes Jahrtausend entfernt, und doch so nah: Der Bauernkrieg ist kein historisches Ereignis, sondern eine virulente Episode der deutschen Geschichte, die von eminenter Bedeutung für unsere Gegenwart bleibt. Die Revolte nämlich war der erste Versuch, für eine andere Ordnung der Dinge zu kämpfen. Erstmals stand der »gemeine Mann« auf, um gerechte Verhältnisse zu schaffen, auf der Basis universaler Rechte und gegen den erbitterten Widerstand der Obrigkeit.
Unter den vielen Neuerscheinungen zum 500. Jubiläum sticht »Die Niederschlagung des Bauernkriegs 1525« hervor, denn wie der Untertitel hervorhebt, fokussiert Peter Seibert auf den unheilvollen »Beginn einer deutschen Gewaltgeschichte«. Als eines seiner Motti wählte der Germanist und Medienwissenschaftler ein Zitat des preußischen Kolonialgenerals Lothar von Trotha, der die umstandslose Erschießung aller Teilnehmer des Herero-Aufstandes befahl: »Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen ... Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr erschossen; ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen.« Damit will Seibert jene fatale Kontinuität sichtbar machen, die mit der rücksichtslosen Brutalität beginnt, mit welcher 1525 die Anführer der Bundestruppen die Bauernrevolte blutig unterdrückten.
Seitdem wurde der Bauernkrieg gerne für diverse Zwecke missbraucht. Der junge Goethe schuf mit »Götz von Berlichingen« ein aufrührerisches Drama, das den Aufstand aber verleumdet; Friedrich Engels und in seinem Gefolge die DDR, stilisierten den Aufstand zur frühbürgerlichen Revolution, während die Nationalsozialisten behaupteten, mit ihrem Machtantritt habe sich jener uralte deutsche Freiheitstraum erfüllt, der mit den Bundschuhkämpfern begonnen habe. Die evangelische Kirche wiederum hat die erbärmliche Rolle, die Luther einnahm beim Verrat an den unter seinem Widersacher Thomas Müntzer kämpfenden Bauernhaufen, stets heruntergespielt, während die Geburt der demokratischen Idee in Form der »Zwölf Artikel« als Gründungsdokument des Aufstandes in der Bundesrepublik geflissentlich ignoriert wurde. Geändert hat sich das erst ein Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung, als anlässlich des 475. Jahrestages des Bauernaufstandes im Jahr 2000 Bundespräsident Johannes Rau die Revolution der einfachen Leute gegen eine übermächtige Obrigkeit als »Teil deutscher Freiheitsgeschichte« deutete und einen Bogen schlug von den bäuerlichen Forderungen in den »Zwölf Artikeln« als ersten Schritt hin zur Erklärung der Menschenrechte der Uno von 1948.
»Der Sieg des Kapitalismus«, so Heiner Müller nach 1989, »geht die Banken an, nicht die Literatur. Wichtig ist die Erfahrung der Niederlage.« Um die Kollektiverfahrung der Niederlage genauer zu verstehen, unternimmt Seibert den Versuch eines anderen Blicks auf den Bauernkrieg, der von der Niederschlagung der Revolte durch den erbarmungslosen »Vernichtungskrieg« der Bundestruppen innerhalb weniger Monate ausgeht. Was 1525 geschah, war zuvor beispiellos und konstituierte nicht weniger als die Urkatastrophe der deutschen Gewaltgeschichte: Breite Schichten der unterdrückten und ausgebeuteten Bevölkerung hatten versucht, mit kollektiver Kraft in die Geschichte einzugreifen, die sozialen Weichen in Richtung einer besseren, menschenwürdigeren Zukunft umzulegen – um dann gnadenlos abgeschlachtet zu werden. Die Revolution wird durch den Terror der Obrigkeit brutal im Blut erstickt. »Was nach der katastrophalen Niederlage der Bauern kommt, ist der Untertanenstaat schlimmster Prägung«, schreibt Seibert. Gehorsam und Unterwerfung als Ideale, erzwungene Anpassung und unterdrückte Freiheiten – die toxischen »teutschen Tugenden« bilden sich nach der bestialischen Niederwerfung des Bauernaufstandes heraus, erzwungen durch den absoluten Machtwillen der Herrschenden. Sie führen ein die deutsche Geschichte prägendes Nachleben.
Wenn Seibert sich unter Rekurs auf historische Quellen auf die Rekonstruktion der massenmörderischen Niederwerfung des Bauernaufstandes konzentriert, anstelle etwa panoramisch angelegt die Geschichte der Unruhen nachzuerzählen oder herausragende Einzelfiguren wie Müntzer ins Zentrum zu stellen, so geschieht dies mit dem Impetus, eine bedenkenswerte These zu erproben, nämlich dass es bei der terroristischen Ausradierung des bäuerlichen Widerstandsgeistes, die weite Teile Deutschlands in »Killing Fields« verwandelte, »letztlich um eine traumatische Katastrophe geht, die bis heute nicht bewältigt werden konnte«. Dass der Schwäbische Bund erbarmungslos durchgreifen konnte, war nicht zuletzt der professionellen Ausstattung der berittenen Söldnertruppen mit Waffen geschuldet, was sich wiederum den Krediten der Fugger verdankte. Selbst wenn die Bauernhaufen bis zu 30 000 Mann umfassten, erwiesen sich die Aufständler als chancenlos gegen ihre oftmals rein zahlenmäßig unterlegenen Gegner. Seibert betont, beim Aufeinandertreffen der Kriegsparteien damals handelte es sich nicht um Schlachten, sondern Schlachtungen. In aller Regel endeten die grausamen Massaker der Söldner innerhalb weniger Stunden mit der totalen Auslöschung der Bauernhaufen, während die Verluste auf Seiten der kriegserfahrenen Bundestruppen zumeist kaum ins Gewicht fielen.
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Es ist erschreckend, teils ermüdend, Seibert Seite um Seite zu folgen bei seinen Schilderungen der Grausamkeiten, die vor nichts Halt machten. Sein Buch lässt in ein wahres Horrorkabinett an barbarischen Tötungsmethoden samt Folter wie Blendungen und Verstümmelungen blicken. Zur Abschreckung wurden manche Aufrührer nicht verbrannt, sondern bei lebendigem Leib geröstet, um die Qualen zu verlängern. Zum unbedingten Vernichtungswillen korrespondierten nachträgliche Blutgerichte, sippenhaftartige Verfolgung der Frauen und Kinder der Aufständischen, sexuelle Gewalt in Form von Vergewaltigungen, die auch die Witwe Müntzers erdulden musste, und noch sehr viel mehr. Seibert vermerkt dies alles detailliert als kritischer Chronist von Verbrechen an der Menschlichkeit.
Dem Autor geht es darum, dass wir seiner zentralen Frage nach den transgenerationellen Folgewirkungen der blutrünstigen Massaker und allumfassenden Vernichtungsorgien nicht ausweichen. »Auf den kurzen historischen Moment, in dem der ›gemeine Mann‹ seine Stimme erheben konnte, folgten Jahrhunderte anhaltenden Schweigens und eines kollektiven Traumas, das – zum Schaden für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung – nicht aufgearbeitet werden konnte«, beklagt Seibert zu Recht. Den Schaden trägt unser Gemeinwesen. Dass kollektive Katastrophen tiefe soziale Traumata auslösen, die später in erneute Katastrophen ausbrechen können, ist eine Einsicht, die uns die deutsche Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts lehrt. Dies gilt es im kulturellen Gedächtnis einzuschreiben, damit sich Gewaltexzesse nicht wiederholen. Was gerade heute, wo neue Katastrophen am nahen Horizont drohen, dringlicher denn je erscheint. Peter Seiberts so passioniert verfasstes wie erschütterndes Buch über die Niederschlagung des deutschen Bauernkriegs ist dafür unverzichtbar.
Peter Seibert: Die Niederschlagung des Bauernkriegs 1525. Beginn einer deutschen Gewaltgeschichte. J. H. W. Dietz, 304 S., geb., 26 €.
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