Vorzeigeheim in Verruf

Zu den Gerüchten um die Notunterkunft äußert sich nun auch der Heimleiter

  • Maria Jordan
  • Lesedauer: 4 Min.
Betrugsvorwürfe gegen den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), mutmaßliche Gewalteskalationen und ein viel kritisierter Heimleiter im Flüchtlingsheim Wilmersdorf.

Die Gerüchteküche um die Notunterkunft im Rathaus Wilmersdorf brodelt. Aufgrund von Medienberichten über eine angebliche Schlägerei, den Rückzug von Ehrenamtlichen und Betrugsvorwürfen gegen den Betreiber ASB war das Vorzeigeheim vorige Woche in Verruf geraten. Nun äußert sich der mehrfach in die Kritik geratene Heimleiter.

Am Abend der vermeintlichen Schlägerei in der Flüchtlingsunterkunft war Heimleiter Stephan Wesche selbst nicht vor Ort. »Ich stand aber im telefonischen Kontakt mit meinem Stellvertreter Philipp Bertram«, sagt Wesche. Betram hatte bereits am Tag darauf die Gerüchte einer Prügelei öffentlich dementiert. »Es kam aber zu einem Tumult«, gibt Wesche zu. Wegen eines neuen Caterers hätten sich etwa 30 Bewohner in der Kantine »lautstark über das Essen beschwert«. Sie versuchten, ihren Unmut in die Büros der Verwaltung zu tragen, der Zugang wurde ihnen jedoch vom Sicherheitspersonal verweigert. »Es ist auch Aufgabe der Security, an solche Situationen vorsichtig ranzugehen«, sagt Wesche. Die Wachleute hätten dann auch die Polizei gerufen. Der Polizeibericht bestätigt, dass keine gefährliche Situation bestanden habe. »Was bisher in der Presse zu lesen war, ist eine völlig übertriebene Darstellung«, meint der Heimleiter.

Er finde aber, die Bewohner hätten ein Recht, sich zu beschweren. »Auch welches Mittel sie wählen, ihren Unmut kundzutun, bleibt ihnen überlassen.« Dazu gehörten auch lautstarke Beschwerden, nur gewalttätig dürfe es eben nicht werden. Bisher war das Heim eines der ruhigsten in Berlin. »Gewalteskalationen hat es noch kein einziges Mal gegeben«, so Wesche.

Inzwischen habe man sich mit besagten Bewohnern getroffen und die Unstimmigkeiten mit dem neuen Caterer diskutiert. Wesche hatte den Anbieter gewechselt, weil er mit der bisherigen Qualität des Essens nicht zufrieden war. »Es haben sehr wenige Bewohner am Essen teilgenommen. Das war für mich sehr auffällig«, so Wesche. Durch den neuen Caterer sei die Nutzung des Angebots aber deutlich angestiegen. Dennoch nehmen gerade mal 60 bis 70 Prozent der Bewohner am Essen teil. Selbst kochen können sie nicht - aufgrund der Brandschutzordnung sind auf den Zimmern keine Kochgeräte erlaubt.

Um die Einflussnahme der Bewohner auf die Vorgänge des Heims künftig zu vergrößern, will die Leitung nun »demokratische Willensbildungsprozesse« in Gang bringen. Dafür wurde ein Konzept ausgearbeitet, in dem mit Wahlen sogenannte »Etagenvertreter« ernannt werden, die als Interessensvertreter der Bewohner gegenüber der Heimleitung fungieren.

Doch dies sind nur einige der Veränderungen, die Wesche seit seinem Dienstantritt am 1. März diesen Jahres in Gang gebracht hat. »Es gibt ja noch anderes, was hier am Haus kritisiert wurde, und vieles richtet sich gegen meine Person«, weiß Wesche. »Ich habe das Haus ich einem sehr speziellen Zustand vorgefunden.« In inhaltlichen Belangen sei die Notunterkunft Wilmersdorf weiter entwickelt gewesen als die meisten anderen. Strukturelle Fragen blieben jedoch ungeklärt. So sei die unzureichende Ausstattung der Zimmer nur ein Aspekt von vielen. »Ich musste eine Reihe von Veränderungen vornehmen.« Dazu gehörte auch, dass er zwei Mitarbeiter und eine Ehrenamtliche aus dem Team nahm, die seiner Meinung nach ungeeignet waren. Dies hätte einige Personen verärgert und mindestens einer davon, ist sich Wesche sicher, ging daraufhin zur Presse. Er könne aber zu jedem Vorwurf eine begründende Stellungnahme abgeben.

Auch zu den Betrugsvorwürfen gegen den ASB äußert sich Wesche: »Als ich diesen Vorwurf gehört habe, war mir sofort klar, das wir uns über dieses Thema überhaupt keine Gedanken machen müssen.« Es kursieren Gerüchte, der Verein habe überhöhte Rechnungen ans Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) gestellt. Der ASB selbst wollte sich dazu bisher nicht äußern. Externe Wirtschaftsprüfer haben bereits begonnen, die Abrechnungen unter die Lupe zu nehmen. Wesche selbst war noch nicht im Dienst zu der Zeit, auf die sich die Vorwürfe beziehen. »Ich weiß aber, dass der ASB gar nicht die Möglichkeit hatte, zu betrügen.« Wie alle anderen Heimbetreiber in Berlin hat der ASB keinen Vertrag. Es gibt lediglich eine Absichtserklärung, aus der hervorgeht, dass alle bisherigen Zahlungen vorläufig sind. Das LAGeSo ermittelt für den Abrechnungszeitraum anschließend einen Tagessatz pro Bewohner, der rückwirkend gilt.

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