»TTIP bringt uns keine Vorteile«

Die Unternehmerin Martina Römmelt-Fella über Freihandel und die Konsequenzen für den Mittelstand

  • Lesedauer: 7 Min.
Es heißt, die meisten Unternehmer erhoffen sich von dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA Vorteile, Sie aber nicht. Warum?

Die Argumente für TTIP sind ja immer der Wegfall der Zölle und der Abbau von anderen Handelshemmnissen. Aber wenn man sich das geplante Abkommen genauer anschaut, dann stellt man fest: Das ist nur ein kleiner Teil davon. Tatsächlich geht es weit über diese Punkte hinaus und bedeutet nicht nur eine enorme Marktliberalisierung, die alle möglichen Bereiche trifft, sondern auch Eingriffe in demokratische Prozesse und europäische Standards.

Wann haben Sie begonnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?

Im Verlauf des vergangenen Jahres. Da wurden kleine und mittelständische Firmen von den klassischen Wirtschaftsverbänden wie dem »Bund der Deutschen Industrie« und dem »Deutschen Industrie- und Handelskammertag« verstärkt als Werbeträger genutzt. Nach dem Motto: TTIP ist gut für den deutschen Mittelstand.

Sie haben die »Arbeitsgemeinschaft Kleine und Mittelständische Unternehmen gegen TTIP« ins Leben gerufen. Vertreten die Wirtschaftsverbände Sie nicht mehr richtig?

Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft hat von Beginn an auch Kritik an dem Abkommen geäußert, spricht sich allerdings auch nicht grundsätzlich dagegen aus. Ich hoffe jedenfalls, dass wir mit unserer Initiative die Diskussion auch in den Wirtschaftsverbänden beleben können.

Unter anderem beklagen Sie, dass sich große Firmen besser als kleine in die Verhandlungen einbringen könnten. Haben Sie dafür Belege?

Die Verhandlungsentwürfe des Abkommens sind nachweislich unter Einfluss von Konzernlobbyisten entstanden. Das belegen Daten von »Corporate Europe Observatory«. Außerdem hatte ich im vergangenen Jahr Leute von der hiesigen Handelskammer bei mir im Haus sitzen. Die hatten Experten vom Industrie- und Handelskammertag in Brüssel zu dem Gespräch mitgebracht, welche mir klar gesagt haben: Die großen Unternehmen und Branchenverbände, zum Beispiel jene der Automobil- und Lebensmittelindustrie, waren vor allem zu Beginn der Verhandlungen ganz stark einbezogen.

Was ist Ihr Ziel?

Unter anderem müssten die Industrie- und Handelskammern die kleinen Unternehmer und den Mittelstand besser vertreten. Jeder muss dort ohnehin Mitglied werden und Beiträge zahlen. Dem sollte eine angemessene Vertretung gegenüberstehen. Das ist aber nicht der Fall.

Sondern?

Die machen, zum Beispiel in Bayern, einseitig Werbung für das Freihandelsabkommen. Dadurch wird unter anderem der Eindruck erweckt, der Export in die USA würde ganz leicht werden.

Das stimmt aber nicht?

Die Produkte, die wir beispielsweise als mittelständisches Maschinenbauunternehmen herstellen, gehen ja alle auf Umwegen gerne mal in die USA. Deshalb hat mich das interessiert und ich habe da nachgehakt. Für mich würde sich durch TTIP überhaupt nichts ändern, der Export würde kein bisschen einfacher werden.

Weshalb nicht?

Die Zertifizierungsverfahren, die da eine Rolle spielen, werden von dem Abkommen überhaupt nicht berührt. Diese entsprechenden Normen sind in den USA nämlich Sache der Bundesstaaten und werden dort von privatwirtschaftlichen Prüfstellen kontrolliert. Dazu hat die US-Regierung von Anfang an gesagt: Daran ändern wir nichts. Wenn ich jetzt also meine Produkte direkt in die USA exportieren wollte, wäre ich dort immer noch von denselben Regularien abhängig wie auch zuvor.

Was heißt das konkret?

Wenn ich in die USA exportiere, dann muss ich die dortigen Rahmenbedingungen einhalten. Das heißt für mich also: Ich kann hier zwar TÜV-Zertifizierungen anstreben. Die muss ich dann aber drüben den amerikanischen Standards anpassen lassen, beziehungsweise zusätzliche Vorgaben erfüllen. Deshalb möchte der hiesige TÜV ein einheitliches Zertifizierungsverfahren durchsetzen, so dass zukünftig eine Zertifizierung für den Export in den USA auch hier stattfinden kann. Momentan ist das aber im Rahmen des Freihandelsabkommens kaum vorgesehen: Bislang ist eine solche Anpassung von Standards nur im medizinischen Bereich geplant.

Hängt daran auch die Möglichkeit, sich in den USA auf staatliche Ausschreibungen zu bewerben?

Ja. Es ist schon jetzt ein wahnsinnig großer bürokratischer Aufwand, sich auch nur europaweit auf solche Ausschreibungen zu bewerben. Wenn ich dann noch den amerikanischen Raum mit einbeziehe, wird es vor allem ohne gemeinsame Standards noch komplexer und schwieriger.

Wäre denn Ihre Firma bedroht, wenn TTIP unverändert verabschiedet würde?

Nein, definitiv nicht. Der deutsche Mittelstand ist nicht umsonst besonders innovativ und kreativ und das trifft auch auf meine Firma zu. Bei der Öffnung nach Osten in den 1990er Jahren haben wir das erlebt. Da ist uns in der Firma sehr plötzlich ein großer Teil des Umsatzes weggebrochen und wir mussten uns eine andere Nische suchen.

Ihre Firma baut Maschinen. Das ist doch nicht gerade eine Nische, oder?

Meine Firma beliefert zum einen diverse Maschinenbau-Kunden mit Einzel- und Sonderbauteilen in der Textilindustrie oder in der Verfahrenstechnik. Zum anderen haben wir ein eigenes Produkt, eine Kleinwasserkraftturbine entwickelt, welches mittlerweile weltweit nachgefragt wird.

Die Proteste gegen TTIP sind geprägt von Nichtregierungsorganisationen und linken Gruppen. Sie und Ihre Mitstreiter beteiligen sich auch an Demonstrationen gegen das Abkommen, zuletzt im April bei jener flankierend zur weltgrößten Industriemesse in Hannover. Fühlen Sie sich innerhalb der linken Szene eigentlich wohl?

Das muss man differenzierter sehen. Die Bewegung gegen TTIP ist außerordentlich breit gefächert und spricht nicht nur eine linke Szene an. Nehmen Sie die zahlreichen TTIP-feindlichen Gemeinden und Städte. Die werden teilweise von der CSU regiert. Hinzu kommen die Gewerkschaften oder der deutsche Kulturrat. Dieses übergreifende zivilgesellschaftliche Bündnis ist einmalig - und es ist gut, dass auch TTIP-skeptische Unternehmen beteiligt sind.

Haben Sie noch Hoffnung, dass TTIP auch Ihre Interessen berücksichtigt?

Es kann natürlich sein, dass beispielsweise die Zertifizierungsrichtlinien in den USA in zehn Jahren noch angepasst werden, sollte das Ganze gewissermaßen ein lebendes Abkommen werden. Aber momentan sagt selbst der deutsche TÜV, dass eine Angleichung der Standards völlig sinnlos ist, solange die Zertifizierungsverfahren nicht vereinheitlicht sind; nicht nur sinnlos, sondern sogar gefährlich, weil damit die Gefahr eines Einbahnstraßen-Effekts besteht.

Hat Ihr Widerstand auch politische Gründe?

Ja. Denn die Befürworter wollen eine möglichst weitgehende Marktliberalisierung zwischen ausgewählten Staaten oder Regionen. Dabei brauchen die Herausforderungen unserer Zeit multilaterale Lösungen - und im Bereich der technischen Standards globale Lösungen. Davon abgesehen finde ich es tatsächlich heikel, alles einem globalen Wettbewerb zu unterwerfen - und parallel für einen kleinen Kreis von großen Unternehmen die Möglichkeit zu schaffen, Staaten zu verklagen.

Soll das geplante Konzernklagerecht nicht eigentlich Wirtschaftsprotektionismus durch den Staat vorbeugen, weil dann eben geklagt werden kann?

Die Klagemöglichkeiten sind aber de facto eigentlich eine Versicherung zum Nulltarif für diejenigen Unternehmen, die auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks investieren. Für mich ist das deshalb gerade eine Form des Protektionismus, der auch noch den Rechtsstaat in seiner aktuellen Form infrage stellt. Es würde ein Klageprivileg für ausländische Investoren geschaffen - inländische Unternehmen oder auch Gewerkschaften könnten aber nicht klagen. Das finde ich politisch falsch.

Welche Erfolge haben Sie mit Ihrer Kampagne bereits erstritten?

Wir werden mittlerweile zu den Veranstaltungen der Industrie- und Handelskammern eingeladen. Das halte ich für einen großen Erfolg, da so unsere kritische Stimme auf deren Veranstaltungen gehört wird. Verbände, wie zum Beispiel der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer, kommen außerdem langsam in Erklärungsnot, wenn es darum geht, an welchen Stellen TTIP ihren Mitgliedern überhaupt nutzen soll. Die bringen dann wieder und wieder die alten Beispiele von verschiedenen Kabelfarben oder Schraubengrößen, dabei müssten sie es besser wissen. Es sind nur leere Versprechungen.

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