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- Israel-Iran-Konflikt
Keine Sympathien für Israel und die Mullahs
In den arabischen Nachbarländern wird mit der Zivilbevölkerung Irans und Israels mitgelitten
Das nächtliche Spektakel möchte sich niemand entgehen lassen. Allabendlich gibt es auf den normalerweise mit Wochenendausflüglern aus Beirut gefüllten Restaurantterrassen im Südlibanon kaum freie Sitzplätze. Nachbarn und Neugierige treffen sich, um das Duell am Himmel gemeinsam anzuschauen. Mit einer Mischung aus Furcht und Freude werden die wie leuchtende Punkte am Himmel vorbeiziehenden iranischen Langstreckenraketen kommentiert. In fast jeder Nacht zielten sie seit vergangenem Samstag in Richtung der israelischen Hafenstadt Haifa. Unweit der libanesisch-israelischen Grenze stationierte Luftabwehrraketen steigen auf, immer wieder regnen glühende Trümmerteile vom Himmel, einige der iranischen Geschosse scheinen jedoch dem Arrow-Abwehrsystem zu entkommen. »Ich will nicht hämisch sein«, sagt Khalil Hammadi, der Betreiber eines Restaurants südlich von Tartous am Telefon. »Aber der Überraschungsangriff auf den Iran ist illegal, so wie auch die israelische Offensive im Südlibanon. Daher finde ich es nur gerecht, dass Netanjahu nicht ungestraft davon kommt.«
Teile des Restaurantgebäudes sind im Januar beim Einschlag einer israelischen Rakete beschädigt worden. Viele der Gäste haben den Krieg hautnah miterlebt, fast jeder Ort wurde von der israelischen Kriegsmaschinerie beschädigt, bis vor Kurzem war dies noch Hisbollah-Land. Aber die Freude über die Überlastung des als unbesiegbar geltenden israelischen Raketenschutzschirms ist gedämpft. »Wer selbst in Trümmern lebt, wünscht weder den Leuten in Haifa noch Teheran ähnliches zu erleben«, sagt Mohammed Rizk, ein Landwirt, der seine Felder im letzten Oktober durch israelische Brandbomben verloren hat.
Iran hat viele Sympathien verloren
In den schiitischen Gebieten des Libanon hat sich der Wind gedreht, man fühlt sich vom Iran verraten und verkauft. Denn nachdem die Hisbollah nach Monaten der Solidarität mit der Hamas, dem anderen iranischen Haupt-Verbündeten in der Region, ins Ziel der israelischen Armee IDF geraten war, schaute die Führung in Teheran tatenlos zu.
Auf sozialen Medien in Syrien zeigen viele sogar ihre Sympathie für den von Israels Premier Benjamin Netanjahu offen geforderten Sturz des iranischen Regimes. Auch hier ist der Krieg Alltag, israelische Kampfjets bombardierten nach der Befreiung vom Baschar-Al-Assad-Regime Kasernen im ganzen Land. Israel hält seitdem auch große Teile der UN-Pufferzone in den Golan-Höhen besetzt, zerstörte ganze Dörfer und hat eigenmächtig das Gebiet südlich von Damaskus zur demilitarisierten Zone erklärt. »Trotz des Gefühls der Ohnmacht gegenüber Israel, die Wut über die Herrschaft der iranischen Revolutionsgarden und ihren Alliierten ist größer«, sagt Lwand Kiki, der Gründer des Syrian Reporting Centers, das seit 2011 Kriegsverbrechen dokumentiert. »Die libanesischen Hisbollah-Einheiten haben in Khoms und anderen Städten wie eine Besatzungsmacht das Regime von Assad am Leben erhalten. Die iranische Führung hat durch ihre Verbrechen sämtliche Sympathien verspielt.«
Iraker fürchten Kollateralschäden
In der irakischen Hauptstadt Bagdad ist die Lage noch komplizierter. 2019 war eine breite Koalition aus Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und aus Arbeitervierteln auf die Straße gegangen. Die friedlichen Proteste für eine gerechtere Verteilung der immensen Öleinnahmen wurden durch Scharfschützen und brutale Verhaftungen durch pro-iranische Milizen gestoppt. 319 Tote und 15 000 Verletzte forderten die monatelangen Auseinandersetzungen. »Teheran will seine Kontrolle über die irakische Regierung und das Bankensystem nicht aufgeben«, sagt der Journalist Mohammed aus Bagdad, der seinen Nachnamen lieber nicht in Zusammenhang mit Kritik am Iran veröffentlicht sehen möchte. »Über Mittelsmänner im Irak konnte Teheran die westlichen Sanktionen umgehen. Es könnte hier auch wieder einen bürgerkriegsartigen Machtkampf geben.«
Viele Iraker fürchten, zum Kollateralschaden des Krieges zu werden. Am Wochenende gab es bereits Kämpfe zwischen schiitischen Milizen und Einheiten der neuen syrischen Armee, die in sozialen Medien als Alliierter Israels verspottet wird. Westliche Staatsbürger werden derweil vor Angriffen von pro-iranischen Milizen gewarnt. Sollten die USA offiziell in den Krieg gegen den Iran eintreten, würden wohl auch die über Syrien und Irak verstreut liegenden US-Militärbasen Ziel der iranischen Milizen und Raketen aus Teheran.
Auch in der jordanischen Hauptstadt Amman starrten die Menschen am Wochenende gebannt in den Himmel. Die jordanische Luftabwehr hatte am Freitag den Abschuss mehrerer langsam fliegender iranischer Shahed-Drohnen gemeldet. Man werde gegen jede Verletzung des eigenen Luftraumes vorgehen, so ein Regierungssprecher. Fast drei Viertel der Bevölkerung in dem sunnitischen Land haben palästinensische Wurzeln. König Adullah der Zweite hat die Kriegsverbrechen der israelischen Armee immer wieder verurteilt. Jordanien hat Geflüchtete aus vielen Krisenherden der Region aufgenommen. Abdullahs Macht hängt auch von der Hilfe der US-Armee ab, die bei Amman eine große Militärbasis betreibt. Abdullah der Zweite kritisierte noch am Freitag den israelischen Überraschungsangriff als Verletzung des internationalen Rechts und große Gefahr für die Stabilität der Region.
Teheran steht unter Wasser
Weil die politischen Eliten wie in Ägypten, Jordanien oder den Golfstaaten ihre Beziehungen zu Washington aus eigenem Machterhalt heraus nicht aufs Spiel setzen wollen, belassen sie es bei diplomatischen Floskeln. Proteste gegen die israelischen Radikalen, die ja mittlerweile ganz offen an der Gründung eines Großisraels unter anderem auf dem Boden eines in Oslo beschlossenen palästinensischen Staates arbeiten, sind verboten. Internationale Aktivisten, die nach Kairo gereist waren, um an der Grenze zum Gazastreifen für das Ende der Blockade zu demonstrieren, wurden verhaftet und abgeschoben. Ein in Tunis gestarteter Gaza-Solidaritätskonvoi wurde von den Behörden in Ostlibyen gestoppt. »Wo wir gestoppt werden, beginnt der Machtbereich Israels« konterten die Blogger der »Soumoud-Karawane« mit 1700 Teilnehmern.
Nach der Bombardierung von Pumpstationen stehen mittlerweile ganze Stadtteile von Teheran unter Wasser, das nächste Ziel der israelischen Luftwaffe sind die riesigen Öltanks in den Vororten der Zehn-Millionen-Metropole. Die Bilder von Zerstörungen der iranischen Infrastruktur erreichen wohl genau das Gegenteil von dem, was Netanjahu und seine Militärplaner bezwecken wollten. Zerstörte Wohnviertel werden bei den bisher mit Iran verfeindeten sunnitischen Nachbarn für einen Stimmungswandel sorgen. So wie beim Erzfeind Saudi-Arabien, dessen Königshaus die »israelische Aggression und die Verletzung der internationalen Rechtsordnung« am Freitag scharf verurteilte.
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