Wer die Rohfassung aufpoliert

Kurz nach Harper Lees Tod ist ein Büchlein über ihre Freundschaft mit Truman Capote erschienen

Pflegen außergewöhnliche Menschen auch außergewöhnliche Freundschaften? War da nicht doch mal was zwischen den beiden? Gibt es neue literarische Enthüllungen? Von all dem hat Lavizzari ein wenig zu bieten.

Vermutlich ist es weniger literarisches Interesse, das jemanden dazu antreibt, ein Büchlein über die Freundschaft zwischen einer berühmten Schriftstellerin und einem berühmten Schriftsteller zu lesen. Ein wenig muss vorhanden sein von etwas, das ebenso gut dazu motivieren könnte, eine Herzblatt-Illustrierte in die Hand zu nehmen - ginge es darin um interessante Menschen. Nur zu gern will man wissen, ob sich begabte, zu Weltruhm gekommene Menschen bisweilen genauso unterschätzt und missverstanden fühlen wie andere auch. Oder pflegen außergewöhnliche Menschen auch außergewöhnliche Freundschaften - tiefer, leidenschaftlicher, härter? War da nicht doch mal was zwischen den beiden, schwul hin, beziehungsresistent her? Gibt es neue literarische Enthüllungen? Von all dem hat Alexandra Lavizzari ein wenig zu bieten - angemessen dosiert für eigentlich ja literarisch interessierte Leserinnen und Leser.

Natürlich waren es besondere Kinder, die sich fanden, weil sie sich nicht suchen mussten. Nelle Lee, ein Raufbold mit Jungenfrisur, Truman Streckfus Persons, weichlich und mit hoher Fistelstimme: zwei Außenseiter von großer Intelligenz in einem Baumhaus mit einem Faible für Geschichten, die sie lasen oder selbst erfanden. Anfang der Dreißiger lebten sie zwei Jahre lang nebeneinander in dem verschlafenen Städtchen Monroeville im südlichen US-Staat Alabama zwischen endlosen Korn- und Baumwollfeldern - Nelle mit den Eltern und der Schwester, der zwei Jahre ältere Truman nebenan bei Verwandten, während sein Vater Geschäften und seine Mutter Vergnügungen hier und dort nachging.

Von Nelles Vater, dem in der Figur des Atticus Fink verewigten Anwalt und Verleger A. C. Lee, bekamen die beiden im zarten Alter eine Underwood Nr. 5 geschenkt. Die Schreibmaschine ließ den Traum vom Schriftstellerleben, den sie gemeinsam träumen, näherrücken, kaum dass sie das Schulalter erreicht hatten. Es soll vor allem Capote gewesen sein, für den bereits als Dreikäsehoch feststand, »dass er im Leben nichts anderes als Schreiben wollte«, und der sich mit Ernst und Verbissenheit an die Arbeit machte.

Noch vor seinem achten Geburtstag zieht Truman zur Mutter und dem Stiefvater Joe Capote nach New York, und es bleibt die große Frage des Buches, das über die Beziehung der beiden Auskunft geben will, wie die Kinderfreundschaft die so schwierigen und prägenden Jahre bis zum Erwachsenenalter zu überdauern vermochte, in denen sie sich nur sporadisch sahen. Erst Ende der vierziger Jahre lebten sie wieder in derselben Stadt: in New York, wo Capote früh als Shooting Star der Literaturszene gehandelt wird und Lee es ihm nach abgebrochenen Jurastudium gleichzutun versuchte.

Nicht unerwähnt bleibt das bis heute existierende Gerücht, Capote habe in Wirklichkeit den Roman »Wer die Nachtigall stört« geschrieben, mit dem für Lee - nun mit dem Künstlervornamen Harper - 1960 endlich der große Erfolg kommt. Als Argument wird dabei stets angeführt, dass sie eine Art One-Novel-Wonder blieb. Seit der Veröffentlichung eines Briefes vor zehn Jahren weiß man, dass Capote Teile des Werks zu einem frühen Zeitpunkt las und für gut befand, womit für manchen Literaturwissenschaftler die Geschichte erledigt war. Lavizzari führt die Äußerungen Lees an, nach denen sie sehr wohl an einem weiteren Roman arbeitete. Tatsächlich kann man sich bei allem, was über Capote bekannt ist, nur schwer vorstellen, dass er ein solches Geheimnis auf Dauer für sich behalten hätte. So war er ziemlich neidisch auf den Pulitzer-Preis, den die Freundin für ihren Roman erhielt. Und dass Lee monatelang bei den umfangreichen Recherchen zu »Kaltblütig« mit ihm zusammenarbeitete, ist aus der knappen Danksagung keineswegs ersichtlich.

Sicher ist, dass der große Erfolg der beiden ihrer Freundschaft nicht gut tut, weil sie ganz unterschiedlich damit umgehen. Truman Capote stürzt sich in alle die Gesundheit strapazierenden Vergnügungen der upper class, die Harper Lee verachtet. Sie dagegen zieht sich zurück. »Beide Reaktionen laufen, was ihr literarisches Schaffen betrifft, auf einen radikal selbstzerstörerischen Akt hinaus.«

Dass voriges Jahr doch noch ein weiteres Werk Lees mit dem Titel »Gehe hin, stelle einen Wächter« erscheinen konnte, war zunächst eine Sensation. Lavizzari legt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um ein ehrgeiziges Projekt ihrer Anwältin handelte und die Autorin selbst, die zu diesem Zeitpunkt in einem Pflegeheim lebte, diese Entscheidung nicht »bei vollem Bewusstsein wahrgenommen« haben könnte. Dass man ihr so oder so vielleicht keinen Gefallen damit getan hat, diese »mit viel Mühe aufpolierte Rohfassung« ihres wunderbaren Romans auf den Markt zu bringen, steht auf einem anderen Blatt. Harper Lee starb, nach Fertigstellung des Buches über ihre Freundschaft mit Capote, im Februar dieses Jahres.

Alexandra Lavizzari: Harper Lee und Truman Capote. Eine Freundschaft. ebersbach & simon, 144 S., geb., 16,80 €.

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