Pietätlose Polizisten

Dessauer Mordfall erreicht Landtag von Sachsen-Anhalt

  • Hendrik Lasch, Dessau-Roßlau
  • Lesedauer: 3 Min.

Am vergangenen Freitag wurde in Dessau das Gartenlokal »Freundschaft« eröffnet. Das Fest fand nur einen Tag nach der Trauerfeier für die Mitte Mai ermordete chinesische Studentin Yangjie Li statt - und hatte für den Kneipier direkte berufliche Folgen. Dieser leitete im Hauptberuf das Polizeirevier Dessau und ist Stiefvater eines 20-Jährigen, der gemeinsam mit seiner gleichaltrigen Freundin verdächtigt wird, die fünf Jahre ältere Chinesin sexuell missbraucht und getötet zu haben. Am Montag wurde der Beamte von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht beurlaubt. Auch wird gefordert, er möge sein Mandat im Stadtrat niederlegen. In der »Mitteldeutschen Zeitung« nannte die Kreischefin der CDU sein Verhalten »pietätlos« und eine »absolute Entgleisung«.

Die Sektparty kurz nach dem Trauerakt ist freilich nur eine von vielen Peinlichkeiten in dem Fall, der nun auch den Landtag beschäftigt: Auf Antrag der LINKEN werden sich die Ausschüsse für Inneres und Recht diese Woche mit der Angelegenheit befassen und die beiden Ressortchefs hören, neben Stahlknecht die Justizministerin Anne-Marie Keding (beide CDU). Vor allem von ihr, sagt Eva von Angern, Rechtspolitikerin der LINKEN, »haben wir noch gar nichts gehört« - obwohl es Gründe gäbe. Die Staatsanwaltschaft Dessau gibt in der Sache kein gutes Bild ab; nach Ansicht von Angerns sollte der Generalstaatsanwalt den Fall an sich ziehen. Dieser erklärt monoton, es gebe »keine sachlichen Gründe«. Das Ministerium, sagt von Angern, sollte auf ein Umdenken hinwirken und der Behörde »dafür den Rücken stärken«.

Auf Seiten der Polizei wurde die übliche Routine immerhin schon durchbrochen; die Ermittlungen wurden durch das Innenministerium von der in Dessau ansässigen Polizeidirektion Ost auf die PD Süd in Halle übertragen; zudem wurden Sonderermittler im Landeskriminalamt eingesetzt.

Immer stärkere Parallelen werden angesichts der Vorgänge bereits zum Todesfall von Oury Jalloh gezogen. Der Asylbewerber verbrannte im Januar 2005 in einer Polizeizelle - ebenfalls in Dessau. Der Tod ist bis heute nicht befriedigend aufgeklärt. Der Staatsanwalt, es ist der gleiche wie im Fall Yangjie Li, ging davon aus, Jalloh habe seine Matratze selbst in Brand gesteckt. Vor Gericht angehörte Polizisten stellten Korpsgeist vor Aufklärungswillen, was einen Richter zu der zornigen Anmerkung nötigte, man lebe »in keiner Bananenrepublik«. Nun gibt es immer neue Auffälligkeiten auch rund um den Tod der jungen Chinesin. Innerhalb von gut zehn Jahren, sagen von Angern und ihre Fraktionskollegin Henriette Quade, ereigneten sich »in ein und demselben Polizeirevier Vorgänge, die eigentlichen als unvorstellbar gelten und das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden erschüttern«. Der Fall hätte wohl genug Potenzial, um einen Untersuchungsausschuss zu rechtfertigen. Das Problem ist nur: Die LINKE kann das nach ihren Wahlverlusten vom März aus eigener Kraft nicht mehr durchsetzen.

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