Blick in eine verborgene Welt

Die deutsche Erstaufführung von Maxi Obexers »Illegale Helfer« in Potsdam stellt Menschenrechte über geltende Gesetze

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 5 Min.

Diese Aufführung hat eine Vorgeschichte. Ein Referendar für Deutsch und Geschichte, der für die AfD in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung sitzt, forderte die Absetzung der Premiere, weil er im Stücktext, ohne ihn zu kennen, die Verherrlichung gesetzeswidriger Handlungen vermutete. Intendant Tobias Wellemeyer sah sich in finstere Zeiten versetzt und verbat sich die Einmischung politischer Parteien in die Spielplangestaltung.

Für die Autorin, die in Südtirol geborene Maxi Obexer, war ihr Text alles andere als tagespolitisch. Das Flüchtlingsthema ist vielmehr zu ihrem »Lebensthema« geworden. In ihrem 2007 in Jena herausgekommenen Stück »Das Geisterschiff« ging es um die Schiffskatastrophe im Mittelmeer, der 283 Menschen zum Opfer gefallen waren. Im Mittelpunkt ihres Erfolgsromans »Wenn die gefährlichen Hunde lachen« stehen Briefe einer afrikanischen Migrantin über ihre Erfahrungen mit der Integration von Fremden in Europa - Briefe, die sie an ihre Verwandten in Afrika geschickt hatte.

Diese Briefe hatte Obexer schon in einer Klanginstallation im Rahmen des Festivals »Manifest 07« in Trentino vorgestellt. Gegenwärtig arbeitet sie zusammen mit dem Regisseur Clemens Bechtel an einem Text unter dem Titel »Gehen und Bleiben«, der auf der Grundlage von Gesprächen mit in Potsdam lebenden Migranten entsteht. Alle diese Beschäftigungen gewährten ihr nach eigenem Bekenntnis Einblicke in eine »verborgene Welt der Menschlichkeit«.

Auch der Stücktext von »Illegale Helfer« geht auf Recherchen zurück. Die Autorin hat Gespräche mit Menschen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich geführt, die aus verschiedenen Beweggründen Flüchtlingen geholfen haben und ihnen weiterhin helfen. Diese Menschen sind unterschiedlichen Alters - vom 25-jährigen Deutschen Florian bis zum 70-jährigen Österreicher Genner. Manche von ihnen haben ihre berufliche Existenz gefährdet wie der 31-jährige Rechtsanwalt, der es nicht mehr fertigbrachte, seine Unterschrift unter Abschiebebescheide zu setzen. Als ungeahntes Glück empfindet er es zudem, eine ältere Migrantin zu einem Bahnhof begleitet zu haben, von dem aus sie in das Land ihrer Wünsche reisen kann.

Einige waren ihr Leben lang aktiv, andere sind zufällig in die Verantwortung geworfen worden wie der 45-jährige Deutsch-Schweizer Lukas, der bisher ein sorgloses Leben mit Trompetenunterricht und blühenden Kastanien geführt hat und der Zeuge eines brutalen Polizeieinsatzes gegen Flüchtlinge wird.

Beispiele für die Kraft der Schwachen werden genannt. Die einen vermitteln Adressen von kostenlos arbeitenden Ärzten, die anderen organisieren Lebensmittelgutscheine und wieder andere Vorbereitungskurse für Anhörungen und Castings zur Erlangung des Asyls und zum Beweis für Hilfsbedürftigkeit.

Von der Herzlosigkeit und der Lebensfremdheit der Ämter ist ebenso die Rede wie von der seelenlosen Abschiebung eines jungen Griechen, obwohl dessen Eltern gerade einem Sprengstoffanschlag zum Opfer gefallen sind. Aber auch Heldentum und Erfindungsreichtum der Flüchtlinge spielen eine Rolle - wie die Geschichte jenes 31-Jährigen, der sich die Fingerkuppen abhobelt, um nicht Fingerabdrücke machen lassen zu müssen. In einem Epilog verweigert sich eine junge Helferin der Heldenverehrung, wenn sie an die Unvergleichlichkeit ihres Handelns mit den wahren Heldentaten im antifaschistischen Widerstand erinnert.

In Fragen der szenischen Veranschaulichung gibt es gravierende Unterschiede zwischen der Uraufführung am Landestheater Salzburg im Januar und der Deutschen Erstaufführung in Potsdam. In Salzburg traten neun Darsteller in uniformen Kapuzenpullovern gemeinsam an die Rampe, postierten sich vor einem grafisch gestalteten Hintergrund, der eine verwitterte Bahnhofsgarage zeigte, nahmen das Publikum ins Visier und lieferten ihre Berichte ab. Die Inszenierung von Yvonne Groneberg in Potsdam sucht ganz auffällig nach szenischen Aktionen und nach schauspielerischer Individualisierung.

Im Wechsel von Chor und Solo werden die amtlichen Definitionen von illegaler Einreise und Durchreise vorgelesen, am Ende platzt dem österreichischen Aktivisten Genner der Kragen, er reißt ein Blatt der Verordnungen heraus, worauf er mit dicken Klebebändern an einen Stuhl gefesselt und sein Mund mit weißen Verbänden verschlossen wird. Er befreit sich und schreit seine Wut auf eine rigide Asylpolitik heraus - und danach seinen Triumph darüber, dass seine Organisation einen Tschetschenen vor der Abschiebung bewahren und für ihn Haftentschädigung erzwingen konnte. Wenn er auf seine rassistisch verfolgten Eltern und seine langjährige Mitgliedschaft in der Spartakusjugend verweist, dann scheint so etwas auf wie Klassenbewusstsein.

Im Dunkel der Nacht kleben junge Akteure mit Papptüten auf dem Kopf Flugblätter mit Gesetzesverordnungen an die Wand. Später wird an dieser Stelle ein junger Schauspieler aufrührerische Texte an die Wand schreiben und um die Körperformen zweier Schauspielerinnen herum Kreidelinien markieren, die fortan als Silhouetten des stummen Widerstands im Raum stehen.

Der Schauspieler Christoph Hohmann wird kleine Triumphe als Berater von Flüchtlingen mit einem akzentuierten Golfschlag und einem lauen »Piff, Paff« unterstreichen und später in einer fiktiven Lehrstunde Tricks zum Umgang mit Behörden verraten, nicht ohne wie ein geduldiger Lehrer Teile des Lehrstoffs abzufragen. Individuelles Profil gewinnt auch Andrea Thelemann in der Rolle einer ebenso mutigen wie aufrührerischen Studienrätin, die täglich den Verlust ihres Beamtenstatus’ riskiert und die Beamten des Jugendamtes attackiert.

Nachdem sie in glaubwürdiger Empathie von einem Flüchtlingsmädchen erzählt, das als einzigen Lebensraum den Innenhof einer Asyl gewährenden Kirche kennengelernt hat und nur das Wort »Mond« aussprechen kann, da wächst die Spielweise vom Dokumentarischen ins Poetische. Die anderen Mitspieler greifen das Stichwort »Mond« auf und vereinigen sich zum gemeinsamen Gesang des Liedes vom Mond, der »so stille geht«.

In diesen Momenten kommen einem nicht nur die »illegalen Helfer«, sondern auch die von ihnen betreuten Flüchtlinge näher. Inszenatorische Ungereimtheiten wie die unnötigen Zeugenberichte als Leinwandprojektion treten da in den Hintergrund. Was bleibt, ist der Eindruck engagierter Schauspieler, die uns behutsam in den Bereich verborgener Menschlichkeit mitnehmen.

Nächste Vorstellungen: 17., 26.6.

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