»In Brüssel hört dich keiner schreien«

Warum die Berichterstattung vieler europäischer Medien über Brüssel den EU-Verdruss fördert

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

In der preisgekrönten dänischen Politserie »Borgen« gibt es am Anfang der zweiten Staffel eine Episode, in der die sozialliberale Regierung von Ministerpräsidentin Birgitte Nyborg einen neuen EU-Kommissar ernennen muss. Anstatt aus proeuropäischer Überzeugung den klügsten oder erfahrensten Politiker nach Brüssel zu entsenden, nutzt Nyborg den vakanten Posten am Ende der Folge dafür, sich eines politischen Gegenspielers zu entledigen. Zum Schluss fällt der vielsagende Satz: »In Brüssel hört dich keiner schreien.«

Die Folge sagt viel darüber, wie in den Mitgliedsstaaten über die EU gedacht wird: weit weg, ein Abschiebebahnhof für Querulanten, eben eine Welt für sich. Viele Medien in Europa haben diesen Blick befeuert, anstatt ihm etwas entgegenzusetzen. Nach dem Brexit-Votum der Briten herrscht nun allerorten Katerstimmung. Für den Kommunikationswissenschaftler Franco P. Rota von der Stuttgarter Hochschule der Medien hat die Berichterstattung über Brüssel und den Brexit-Wahlkampf einen wichtigen Anteil am Ergebnis. »Man hat so getan, als wäre das Folklore«, sagt Rota gegenüber evangelisch.de und kritisiert, dass die Medien zu wenig die »Desintegration Europas« thematisieren würden. Insbesondere die Rolle des EU-Rats käme in der Berichterstattung zu kurz. »Der Ministerrat ist das eigentliche Entscheidungsorgan der EU, also die gewählten Vertreter der Mitgliedsstaaten und nicht die EU-Kommission oder EU-Bürokraten, und das wissen die Leute draußen gar nicht, denn sie beschimpfen immer die EU als Organisation«, so Rota.

Gerwald Herter setzte sich einen Tag vor dem Referendum auf deutschlandfunk.de mit dem Blick der britischen Medien auf den Volksentscheid auseinander. Dabei verweist er auf eine Arbeit des Fachblattes »Press Gazette«, wonach sich »die Tendenz der Berichterstattung in den vergangenen Wochen in Richtung Brexit« verschoben hatte. Als teilweise falsch stellte sich die Behauptung heraus, der mächtigste Medienmogul des Landes, Rupert Murdoch, habe seinen Redakteuren die Parole »Vote Leave« diktiert. Obwohl mit der »Sun« die größte Gazette des Landes für ein Ja zum Brexit Position bezog, wandte sich die ebenfalls zum »News Corporation«-Imperium gehörende »Times« dagegen.

Murdochs » Einfluss mag sehr groß sein, aber er überlässt die Entscheidung den leitenden Redakteuren, ob sie nun zur einen oder zu anderen Seite neigen«, so Medienjournalist Freddy Mayhew. Wenige Tage vor dem Votum habe sich bei der Schwerpunktsetzung gezeigt, wie sich jedes einzelne Blatt zur Brexit-Frage positioniert. Während der linksliberale »Guardian« den Investor George Soros vor einem Finanzkollaps im Fall eines Ja warnen ließ, stellte die »Sun« die beim »Leave«-Lager oft geschürte Asyl- und Migrationsangst in den Vordergrund. Weitgehend neutral gab sich dagegen die BBC. Das Öffentlich-Rechtliche sammelte die Argumente beider Seiten und überprüfte den Wahrheitsgehalt, anstatt die EU auf ein paar provokante Thesen zu verkürzen.

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