Neustart für Deutschlands zweitälteste Tram

Lange war unklar, wie es mit Geras Verkehrsbetrieben weitergeht - nun hat die thüringische Stadt einen Plan

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach der Insolvenz der kommunalen Verkehrsbetriebe Gera im Zuge einer spektakulären Stadtwerke-Pleite übernimmt Thüringens drittgrößte Stadt selbst den Nahverkehr. Ein nicht alltägliches Modell.

Es war ein stolzes Jubiläum, welches Gera im Februar 2012 feierte: Bereits seit 120 Jahren, mithin seit 1892, betrieb Thüringens drittgrößte Stadt zu diesem Zeitpunkt eine elektrische Straßenbahn. Nur in Berlin gab es schon eher eine. Und noch immer rollen durch die Sorge, wie Geras Einkaufsmeile heißt, Trams, die mit Aufklebern an dieses Ereignisses erinnern. Doch währte die Freude über jenes Jubiläum nicht lange. Denn da zogen über dem kommunalen Betriebsgeflecht der 95 000-Einwohner-Stadt dunkle Wolken auf.

Bereits 2013 warnte der damalige Vorstand der Stadtwerke Gera AG vor Liquiditätsproblemen und bettelte geradezu um Gegensteuerung seitens der Landes- und Stadtpolitik. Doch statt man ihn erhörte, wurde der Mann ausgewechselt. Auch der damalige Thüringer Oppositionsführer Bodo Ramelow (LINKE) hatte damals auf eine Landeshilfe gedrängt. Es dürfe der Landesregierung - damals regierten CDU und SPD - »nicht egal sein, wenn sich die Pleite-Dominokette fortsetzt und sich zu einem Flächenbrand unter öffentlichen Einrichtungen ausbreitet«, sagte er.

Doch stattdessen nahm das Unheil seinen Lauf: Am 27. Juni 2014 beantragten erst die Stadtwerke Insolvenz - ein bis dahin bundesweit einzigartiger Vorgang - und eine Woche später folgten auch Geras Verkehrsbetriebe (GVB) sowie die Flugbetriebsgesellschaft Gera. Auslöser für die Pleite der Stadtwerke war seinerzeit übrigens deren gescheiterter Versuch, eine Wohnungsbaugesellschaft an die Stadt zu verkaufen. Denn das Thüringer Landesverwaltungsamt hatte der selbst klammen Kommune untersagt, diese Anteile zu übernehmen, um damit dem Kommunalbetrieb frisches Geld zu verschaffen. Busse und Bahnen fuhren natürlich weiter, derweil das Rathaus zunächst wohl oder übel die Rechnungen übernahm. Dennoch fehlte den GVB nun eine sechsstellige Summe, um etwa die Löhne der Mitarbeiter und die Kraftstoffe zu bezahlen.

Über die Ursachen für diese Insolvenz, die vermeidbar war, wird bis heute politisch gestritten, wobei vor allem die damals noch CDU-geführte Landesregierung im Rückblick nicht gut aussieht. So hätte etwa eine Landesbürgschaft das Schlimmste abwenden können. Die Rede war seinerzeit von 18 Millionen Euro.

Doch nun, ziemlich genau zwei Jahre später, zeigt sich endlich wieder Licht am Horizont. Mitte Juni beschloss der Geraer Stadtrat ein nicht alltägliches Modell, um dem Nahverkehr endlich aus der Krise zu helfen: Das Stadtparlament gründete ein neues Verkehrsunternehmen, in dem die Stadt selbst als Gesellschafter zeichnet. Zuvor hatte der Stadtrat bereits Ende 2015 mit großer Mehrheit einen Nachtragshaushalt beschlossen, damit die Stadt Gera die Busse, Bahnen sowie Gleisanlagen und Stromleitungen aus der Insolvenzmasse kaufen kann. Hierzu nahm sie auch einen Kredit über 29,5 Millionen Euro auf, der allerdings noch einer Bestätigung durch das Land bedarf.

Doch zumindest stimmte das Landesverwaltungsamt inzwischen diesem Eigentümermodell zu. Auch Bodo Ramelow, inzwischen Ministerpräsident in Thüringen, hatte sich im Frühjahr noch einmal ausdrücklich für solch eine Lösung stark gemacht hat. Die von der CDU-nahen, offiziell aber parteilosen Viola Hahn geführte Stadtverwaltung solle sich dafür einsetzen, dass Gera die GVB »aus der Insolvenzmasse rasch zurückerhält«, sagte er. Zugleich hatte er mögliche Gedankenspiele, den ÖPNV-Betrieb an Dritte zu verkaufen, als falsch bezeichnet.

Im Oktober nun soll jene GVB Verkehrs- und Betriebsgesellschaft Gera mbH an den Start gehen. Der über 20 Jahre laufende Dienstleistungsauftrag hierfür ist bereits ausgehandelt. Das Stammkapital liegt bei 25 000 Euro, von denen die Hälfte die Stadt beisteuert. Um hierbei stets die Kosten im Griff zu behalten, soll alle drei Jahre ein Abgleich mit vergleichbaren Verkehrsunternehmen erfolgen.

Im Rathaus verspricht man sich davon zugleich eine marktorientierte Entwicklung. Immerhin muss die Stadt nun auch für einen Ausgleichsbetrag von etwa drei Millionen Euro aufkommen - ein Zuschuss, der indes unter jener Summe von 4,1 Millionen Euro vor der Pleite liegt. Inbegriffen ist hier auch schon der Kapitaldienst. Insgesamt sind für die Verkehrsbetriebe inzwischen 39 Millionen Euro an Schulden aufgelaufen.

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