Deutschland mit Defiziten bei der Nachhaltigkeit

Entwicklungs- und Umweltverbände kritisieren mangelhafte Umsetzung der »UN-Agenda 2030« gegen Armut, Hunger und Umweltzerstörung

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bundesrepublik verpflichtete sich per UN-Agenda zu einer »nachhaltigen Entwicklung«. Die Zwischenbilanz enttäuscht.

Mit dem Prädikat »nachhaltig« schmücken sich alle gern: Chemiekonzerne, Supermarktketten und neuerdings auch die CDU. Auf ihrem letzten Bundesparteitag wurde der Antrag »Nachhaltig leben - Lebensqualität bewahren« einstimmig angenommen. An schönen Worten und blumigen Versprechungen mangelt es also nicht, an der praktischen Umsetzung schon, wie der Schattenbericht zur 2015 verabschiedeten UN-Nachhaltigkeitsagenda zeigt, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Im Rahmen dieser »Agenda 2030« bekannten sich die 193 Unterzeichnerstaaten zu insgesamt 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, unter anderem, Armut und Hunger zu beenden. Diese Ziele seien »auch Verpflichtung für die Politik in Deutschland«, betonte Julia Duchrow vom Forum Menschenrechte. Duchrow ist Sprecherin von 50 Nichtregierungsorganisationen, die sich in dem Schattenbericht mit dem Stand der Umsetzung in Deutschland befassen. Barbara Küppers vom Kinderhilfswerk terre des hommes brachte die Kritik auf den Punkt: »Die deutsche Politik ist noch längst nicht nachhaltig.«

Klaus Seitz, Vizevorsitzender von Venro, einem Zusammenschluss von rund 100 deutschen Entwicklungsorganisationen, warnte: »Die Kluft zwischen Arm und Reich hat dramatisch zugenommen und wird immer größer.« Um der Verschärfung des globalen Wohlstandsgefälles entgegenzuwirken, sei es »notwendig, Steuerschlupflöcher zu schließen und Schattenfinanzplätze auszutrocknen«, so Seitz. Die Bundesregierung müsse mehr für ein gerechtes und transparentes Finanzsystem tun, forderte er.

Klaus Seitz empfahl der Bundesregierung eine globale Perspektive beim Thema Nachhaltigkeit: »Wie können wir die negativen Auswirkungen des eigenen Handelns begrenzen?«, fragte er und verwies auf die 6,5 Millionen Hektar Ackerland außerhalb Europas, die für die Ernährung der Deutschen genutzt würden, ein Großteil davon für Futtermittel. Sojaschrot aus Brasilien macht auch deutsche Schweine fett. Trotzdem komme die globale Perspektive in der Nachhaltigkeitsstrategie, die derzeit von der Bundesregierung erarbeitet werde, nur am Rande vor, so Seitz.

Zudem müsse sich die Große Koalition fragen, wie sie »die Zahl der Armen in Deutschland reduzieren kann«. Tatsächlich kommt das entsprechende Kapitel im Schattenbericht zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen. So liege die Armutsquote der Rentner »heute um 46 Prozent höher als 2005«, schreibt Autor Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband. Wollte man die Armut in Deutschland »tatsächlich wirkungsvoll bekämpfen«, müssten zweistellige Milliardenbeträge aufgebracht werden. »Volkswirtschaftlich wäre das bei einem Bruttoinlandsprodukt von über drei Billionen Euro auch durchaus zu realisieren.« Allein, es fehlt der politische Wille.

Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung plädierte dafür, auch die Wirtschaftspolitik auf den Prüfstand zu stellen. Schließlich habe Nachhaltigkeit drei Dimensionen: eine ökologische, eine ökonomische und eine soziale. Vor diesem Hintergrund sei das deutsche Wirtschaftsmodell, das Exportüberschüsse von jährlich 250 Milliarden Euro erzeuge, nicht nachhaltig. Denn die Überschüsse seien die Defizite der Handelspartner. Zumal Deutschland den Überschuss mit Lohndumping im eigenen Land erkaufe. So arbeite ein Drittel der Beschäftigten bereits im Niedriglohnsektor. »Die Kosten für die gedopte Wettbewerbsfähigkeit übersteigen schon fast den Nutzen.« Das ist ein Verstoß gegen Ziel 10 der Agenda, wonach »Ungleichheit in und zwischen Ländern« verringert werden soll.

Maier warnte auch vor Handelsverträgen wie TTIP und CETA, die eine Regulation von Produktionsstandards unmöglich machten. So gelte bei den Verträgen der Grundsatz: Produkte dürften nicht nach ihrer Herstellungsweise unterschiedlich behandelt werden. Demzufolge sei es egal, ob bei der T-Shirt-Produktion in Bangladesch Menschen ausgebeutet werden und die Umwelt vergiftet werde. Dabei verpflichtet Ziel 12 dazu, »nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster« sicherzustellen.

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