Journalistenmord unter Polizeiaufsicht?

Ukrainischer Vizechef der Polizei hatte Opfer des Bombenanschlags beschatten lassen

  • Ulrich Heyden, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Der bei der Explosion einer Autobombe in Kiew getötete Journalist Pawel Scheremet stand faktisch unter Polizeiaufsicht - er war beschattet worden.

In dem Fall des vor einer Woche bei einem Anschlag getöteten Journalisten Pawel Scheremet fällt ein düsterer Schatten auf den stellvertretenden Chef der ukrainische Polizei, Wadim Trojan. Dieser hatte den Journalisten und seine Freundin, Alena Pritula, die Besitzern des ukrainischen Internetportals »Ukrainskaja Prawda« beschatten lassen. Wegen dieser »ungesetzlichen Beschattung« sei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, erklärte der ukrainische Generalstaatsanwalt Juri Luzenko in einer Sendung des Fernsehkanals 112.

Wie die Leiterin der Nationalen Polizei der Ukraine, Chaitija Dekanoidse, Montag gegenüber dem Fernsehkanal erklärte, habe sie von der Beschattung nichts gewusst. Trojan befinde sich zurzeit in Urlaub, wie auch Innenminister Arsen Awakow. Dabei erschüttert der Skandal um die Ermordung des bekannten Journalisten viele Ukrainer.

Der 36 Jahre alte Trojan ist seit März stellvertretender Chef der Nationalen Polizei der Ukraine. Dort hat er eine Ausbildung als Jurist absolviert. Von 2000 bis 2003 arbeitete er als Ermittler des Innenministeriums. Zu Beginn der »Anti-Terror-Operation« in der Ostukraine kämpfte Trojan im rechtsradikalen Freiwilligenbataillon Asow. Am 30. Oktober 2014 wurde Trojan, von Innenminister Arsen Awakow zum Leiter der Polizei im Gebiet Kiew ernannt. In der Behörde begann Trojan mit einer Säuberungsaktion gegen Anhänger des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Trojan spielte eine führende Rolle beim Umbau der ukrainischen Polizei. Im März wurde er zum stellvertretenden Chef der Nationalen Polizei der Ukraine ernannt.

Generalstaatsanwalt Juri Luzenko erklärte im Fernsehkanal 112 am Sonnabend, der Hauptverdacht sei, dass Pawel Scheremet »aus Rache für seine berufliche Tätigkeit« getötet worden sei. Der Mord an Scheremet sei Teil eines »großen Plans«, behauptete der Generalstaatsanwalt, ohne diesen näher zu erklären.

Am Mittwochmorgen, als Pawel Scheremet zur Arbeit fuhr, war ein Sprengsatz unter dem Auto ferngezündet worden. Das Auto gehörte Aljona Pitrula, der Freundin von Scheremet. Beide leitete das regierungsnahe Internetportal »Ukrainskaja Prawda«.

Bereits unmittelbar nach dem Mord hatte Sorjan Schkirjak, ein Berater des ukrainischen Innenministers, erklärt, es gebe vor allem Hinweise auf eine »russische Spur«. Bei dem Sprengstoff habe es sich um Hexogen gehandelt. Mit diesem Sprengstoff habe »Putin ja in Moskau seinerzeit Wohnhäuser in die Luft gesprengt«.

Die Ermittlungen zu dem Mord laufen auf Hochtouren. Der ukrainische Präsident hat den US-Inlandsgeheimdienst FBI und Geheimdienste aus der EU gebeten, bei den Ermittlungen zu helfen. Auch pensionierte Kader aus der ukrainischen Polizei sollen zu den Ermittlungen zugezogen werden.

Scharfe Kritik äußerte Generalstaatsanwalt Luzenko auch am Kiewer Internetportal »Obosrewatel«. Dieses hatte Aufnahmen von Überwachungskameras aus der Nacht vor dem Mord veröffentlicht. Zu sehen ist, wie die Attentäter - eine Frau und ein Mann - einen Sprengsatz unter dem Auto anbringen. Durch die Veröffentlichung seien die Ermittlungen »sehr erschwert« worden, erklärte der Generalstaatsanwalt.

Die letzte Veröffentlichung von Scheremet war ein Blogbeitrag unter dem Titel »Asow, Verantwortung und Freiwilligenbataillone« am 17. Juli in der »Ukrainskaja Prawda«. Scheremet beschreibt Auseinandersetzungen um die Privatisierung einer Chemiefabrik. Manager der Fabrik waren wegen Korruptionsverdacht in Haft. Mitglieder von Freiwilligenbataillonen, die im Parlament sitzen, hätten Gerichtsverhandlungen blockiert und deren Freilassung erzwungen, schrieb Scheremet: »Die Abgeordneten der Freiwilligenbataillone und Leute in Kampfanzügen stehen jetzt höher als das Gesetz.«

Um die Privatisierung der Chemiefabrik streiten Präsident Petro Poroschenko und der ehemalige Ministerpräsident und Chef der »Volksfront« Arseni Jazenjuk, schreibt Iskander Chisamow, Chefredakteur des Internetportals »Ukraina.ru«. Hinter Poroschenko stünden der Geheimdienst und die Staatsanwaltschaft, hinter Jazenjuk das Innenministerium und die Nationalgarde.

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