Ohne Pässe geht es auch

Melanie Grämmel, 22, hat ihr Sportherz an Tipp-Kick verloren

  • Lesedauer: 4 Min.

Tipp-Kick klingt ähnlich wie Kickern, diese Fußballerfigurenwirbelei an Kästen, die oft in Szenetreffs stehen.
Die beiden Spiele werden oft verwechselt. So mancher hat von Tipp-Kick sogar nie was gehört. Ich merke das, wenn ich neuen Bekannten von meinem Hobby erzähle.

Vielleicht ändert sich das ja nach der jüngsten echten Fußball-EM.
Na, wir werden sehen. Obwohl ich eigentlich finde, dass Tipp-Kick mit Fußball recht wenig zu tun hat.

Vom braven zum Wettkampfspaß

Kräftiger Fingerdruck auf die Schädelplatte, ein Bein schnellt vor, trifft den zwölfeckigen Ball, und rein das Ding. So das geniale Prinzip der Minifußballer. Der Stuttgarter Carl Mayer hat das Spiel erfunden und 1921 zum Patent angemeldet. Aus dem Wohnzimmerspaß für brave Zu-Hause-Kinder hat sich hierzulande längst ein echter überregionaler Spielbetrieb etabliert, mit Verbands- und Regionalligen bis hinauf zur Bundesliga.

Pro Match darf jedes Team auf dem 106 mal 70 Zentimeter großen Feld jeweils nur ein Minimann im Spiel haben, insgesamt aber vier verschiedene Spielfiguren einsetzen; hinzu kommt der Keeper. Nach einem Schuss zeigt der zweifarbige Ball mit seiner oben sichtbaren Farbe (schwarz/weiß, auch gelb/rot) jeweils an, welches Team die nächste Aktion ausführen darf. Es gewinnt der Tippkicker, der in der regulären Spielzeit (2 mal 5 Minuten) oder nach Verlängerung (2 mal 2 Minuten) die meisten Treffer landet. gra

Das klingt ziemlich überraschend.
Ein Tipp-Kick-Match läuft doch völlig anders ab. Es gibt z.B. keine Pässe über mehrere Stationen. Hast du Anstoß, musst du, nachdem du einmal Richtung Tor geschossen hast und eventuell noch einen weiteren Versuch starten darfst, sofort mit der zweiten Aktion den gegnerischen Keeper testen.

Wie das? Von den Tipp-Kick-Turnieren unserer Jugendzeit habe ich das anders in Erinnerung.
Ja, die besagte Regel ist erst vor wenigen Jahren nachträglich eingeführt worden. Wahrscheinlich als Folge des so genannten Farbspiels. Gemeint ist damit, den zwölfeckigen Ball immer so zu treffen, dass er nach dem Stillstand wieder die »eigene«Farbe zeigt, so dass man weiter kicken darf. Wer den Ball gekapert hat, könnte so z. B. auf Zeit spielen. Und genau das soll mit der erwähnten Regel verhindert werden.

Ist das nicht immer reine Glücksache, welche Farbe nach dem Schuss oben liegt?
Das ist reine Übungssache. So gibt es die Faustregel: Zeigt der ruhende Ball oben deine Farbe an, musst du nur noch seitlich eine bestimmte Ecke treffen, und das Teil legt sich am Ende hin, wie du das wünschst. Und das kann man trainieren.

Offenbar kommt es beim Tipp-Kick auf Präzisionsarbeit an. Aber das Schussbein der Tipp-Kick-Figuren wackelt doch ziemlich, oder?
Deshalb benutze ich - und das ist auf Liganiveau üblich - meine eigenen Figuren, die technisch nachgebessert sind. Ein speziell nachgefeilter Schussfuß kann den Bällen einen gefährlichen Effet geben, und die drehen dann überraschend ins Tor.

Gepimpte Figuren - da treiben Sie ja echt technisch basierten Aufwand. Sind deshalb die Frauen in der Tipp-Tick-Szene so klar in der Minderheit?
Nein, viele Frauen meinen, dass Tipp-Kick bloß Fußball im Kleinen ist. Und das finden sie dann nicht übermäßig spannend.

Obwohl aber die Fußballbegeisterung auch keine reine Männerdomäne mehr ist?
Na gut, ich gucke immerhin die Spiele der Nationalmannschaft. Doch Fußball war und ist für mich kein Grund, mich mit Tipp-Kick zu beschäftigen.

Und was mögen Sie nun am Tipp-Kick besonders?
Ich kann verschiedene Techniken ausprobieren, um meine Schüsse zu verbessern. Das ist ein ständiger Lernprozess, diese Herausforderung treibt mich an. Außerdem mag ich das taktisch-psychologische Element: Wie ist der Gegner drauf, ist das etwa ein hippeliger Typ, der ohne Rücksicht auf Verluste nach vorne stürmt? In dem Fall versuche ich, dass Tempo rauszunehmen, das bringt solche Leute schnell aus ihrem Rhythmus.

Pro Match stehen zweimal fünf Minuten zur Verfügung, die sind bei langsamer Gangart schnell vorbei.
Dazu muss man sich zwingen. Will mein Gegner schnell sein, verdaddelt er sich in der Hektik eventuell. Plötzlich zeigt der Ball meine Farbe. Darauf habe ich gelauert. Und weil ich mental darauf vorbereitet bin: Schuss aufs Tor und rein das Ding, bevor der andere überhaupt noch seinen Schlussmann bewegen kann.

Sie treten zu Ligaspielen in gemischten Teams an. Meist ist ihr Gegner dann ein Mann, da in der Szene Frauen ja bislang eher selten sind. Ist der durchschnittliche Tipp-Kick-Mann da etwas verwirrt?
Manche Männer sollen das hinterher tatsächlich behauptet haben. Aber erstens habe ich das bisher nicht mitgekriegt, und zweitens ist mir das egal. Wer gegen eine Frau verliert, sollte nicht über die Frau nachdenken, sondern über sein Spielniveau.

Wie würden Sie potenziellen Neueinsteigerinnen zuraten, mal einen Schnupperversuch zu starten?
Hier machen super nette Menschen ein einfach schönes Spiel. Einen perfekt angeschnittenen Schuss, den kann ich richtig genießen, selbst wenn der Gegner den Ball pariert. Das hat einfach was.

Tipp-Kick bundesweit: Infos beim Deutschen Tipp-Kick-Verband unter dtkv.info/ Tipp-Kick beim TFB ’77 Drispenstedt: Infos unter tfb77drispenstedt.jimdo.com/

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