Der Stahlboom ist vorbei

Zehn Jahre nach der Übernahme von Arcelor durch Mittal ist die Branche in der Krise

  • Erik Nebel und Birgit Reichert, Luxemburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor zehn Jahren krönte sich der gebürtige Inder Lakshmi Mittal endgültig zum »König des Stahls«. Seitdem ist ArcelorMittal der größte Stahlhersteller der Welt. Doch Mittals Königreich glänzt nicht mehr.

Es war Lakshmi Mittals Krönung. Fünf Monate tobte eine erbitterte Übernahmeschlacht, bis sein Unternehmen Mittal Steel am 1. August 2006 den luxemburgischen Stahlkocher Arcelor für rund 26 Milliarden Euro übernehmen konnte. Es entstand der mit Abstand weltgrößte Stahlhersteller. ArcelorMittal sollte »die Zukunft der Stahlindustrie prägen«. Doch die Stahlwelt hat sich verändert - gelohnt hat sich das Geschäft kaum.

Zunächst glänzte der neue Stahlriese. Im ersten vollen Geschäftsjahr nach der größten Fusion der Stahlbranche legte ArcelorMittal Rekordzahlen vor: Einen Überschuss von 10,4 Milliarden US-Dollar, gut 105 Milliarden Dollar Umsatz, 110 Millionen Tonnen Stahl und 320 000 Beschäftigte. Die Wirtschaft war im Wachstumsmodus: In Südeuropa boomte die Baubranche, China versprach große Zuwächse. Die Nachfrage übertraf das Angebot. Wer viel produzierte, verdiente auch viel.

Sein Reich hat sich der Sohn eines indischen Stahlindustriellen durch Übernahmen von Stahlwerken in aller Welt zusammengekauft - finanziert vor allem durch Schulden. »Ich kaufe Unternehmen, fusioniere, konsolidiere sie, reduziere ihre Kosten, mache sie sehr effizient«, beschrieb der Milliardär sein Geschäftsmodell. Sein Meisterwerk sollte die Übernahme von Arcelor sein - einem Konzern, der wenige Jahre zuvor aus dem Zusammenschluss dreier europäischer Stahlfirmen entstanden war.

Doch dann kam die Krise. Bis heute hat sich die Stahlbranche nicht erholt. »Allein in Europa liege die Rohstahlerzeugung immer noch 20 bis 25 Prozent unter dem, was man vor der Krise als Normalwert hatte«, sagt Stahlexperte Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Die Preise stehen unter Druck. 2015 verschärfte sich die Situation weiter, als China begann, seine Überproduktion zu Billigpreisen auf den Weltmarkt zu werfen.

Das hinterlässt tiefe Spuren bei ArcelorMittal. Der Konzern hat in den vergangenen Jahren in Europa vier seiner 25 Hochöfen geschlossen, ganze Sparten wie den Edelstahlbereich ausgliedert und Zehntausende Arbeitsplätze gestrichen. Ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht. Immer wieder musste ArcelorMittal hohe Abschreibungen vornehmen. Auch der Ausbau eigener Rohstoffförderung hat sich kaum gelohnt, da die Erzpreise eingebrochen sind. 2015 kam ein Rekordverlust von fast acht Milliarden US-Dollar zusammen. 210 000 Menschen arbeiten noch im Konzern, der Umsatz sackte auf 64 Milliarden Dollar ab. Als recht stabile Stütze gelten die deutschen Werke Bremen, Duisburg, Eisenhüttenstadt und Hamburg mit zusammen 9000 Beschäftigten.

An den Kapitalmärkten wird ArcelorMittal kritisch beäugt. Der Aktienkurs ist seit 2008 um 90 Prozent eingebrochen. Ratingagenturen halten die Schuldscheine des Konzerns für riskant - zu hoch sind die Schulden gegenüber den Erlösaussichten. Daran hat auch die jüngste Kapitalerhöhung nichts geändert, die dritte seit 2009. Die Familie Mittal musste immer wieder frisches Geld zuschießen. Nun soll ein Sparprogramm helfen.

Zu viel Massenstahl - das ist die Hauptkritik an ArcelorMittal. Der Konzern aber betont, genug geleistet zu haben. Derzeit bemühen sich die Luxemburger darum, das einst größte europäischen Stahlwerk im süditalienischen Tarent zu übernehmen.

Im zweiten Quartal 2016 konnte ArcelorMittal seine Talfahrt stoppen. Dank einer Erholung der Stahlpreise und Einsparungen stieg der operative Gewinn im Vergleich zum Vorjahr um über ein Viertel auf knapp 1,8 Milliarden US-Dollar, wie der Konzern am Freitag mitteilte. Für den Jahresverlauf ist ArcelorMittal vorsichtig optimistisch. Dass die Stahlindustrie wieder Wachstumsbranche wird, glauben aber auch Experten nicht. dpa/nd

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