Lieferketten bald ethisch?

EU-Richtlinie ist erster Schritt für bessere Arbeitsbedingungen in globaler Wertschöpfung

  • Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 4 Min.
Arbeiten oftmals unter schlechten Bedingungen und sind nicht versichert gegen Arbeitsunfälle: Textilarbeiter in Bangladesch
Arbeiten oftmals unter schlechten Bedingungen und sind nicht versichert gegen Arbeitsunfälle: Textilarbeiter in Bangladesch

Diesen Mittwoch ist es auf den Tag genau elf Jahre her, dass bei einem Brand in der Fabrik Rana Plaza in Bangladesch mehr als 1000 Textilarbeiter*innen ums Leben kamen. Über 2000 weitere wurden schwer verletzt, sind seitdem teils arbeitsunfähig und viele warten bis heute auf eine Entschädigung, auch weil die internationalen Konzerne, für die sie produzierten, nicht haftbar gemacht werden konnten für die Sicherheitsmängel in der Fabrik.

Das soll sich mit der neuen EU-Lieferkettenrichtlinie ändern, über die nun in Straßburg abgestimmt wird. Danach müssen Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und einem Umsatz ab 450 Millionen Euro Menschenrechte und Umweltschutz in ihren Wertschöpfungsketten integrieren. Sie sollen dazu verpflichtet werden, Berichte über die Einhaltung der Standards gegenüber nationalen Behörden zu erstellen. Versagen die Unternehmen hier, können sie bestraft und mit Bußgeldern belegt werden. Um Wettbewerbsnachteile zu verhindern, soll die Richtlinie auch für außereuropäische Konzerne gelten.

Kritiker*innen bemängeln, dass kleine und mittlere Unternehmen von der Regelung ausgenommen wurden. Eine ursprüngliche Fassung sah vor, dass Betriebe schon ab 250 Beschäftigten und mit einem Umsatz ab 100 Millionen Euro haftbar gemacht werden könnten. Doch auf Druck der FDP wurden die EU-Vorgaben abgeschwächt. Die Unternehmensverbände klagten über zu große bürokratische Lasten.

»Dass Deutschland den ursprünglichen Kompromiss abgelehnt und auf eine massive Abschwächung gedrängt hat, ist beschämend«, kritisiert Özlem Alev Demirel, sozial- und beschäftigungspolitische Sprecherin von Die Linke im Europaparlament, den aktuellen Entwurf gegenüber »nd«. Als zynisch bezeichnet sie, dass es elf Jahre gedauert habe, bis die EU sich auf die Vorgaben geeinigt habe. Dennoch werde ihre Partei für das Gesetz stimmen. »Denn für uns ist diese Richtlinie ein erster Schritt und wichtiger Beitrag im Kampf gegen unhaltbare Menschenrechtsverletzungen entlang der Produktionskette«, erklärt sie.

Dass die EU-Richtlinie am Mittwoch verabschiedet wird, findet auch Judith Beile wichtig. Die Geschäftsführerin der internationalen Beratungsfirma WMP Consult hat mit der Politologin Katrin Vitols für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung einen Bericht über das seit 2023 geltende deutsche Lieferkettengesetz verfasst. Darin haben sie untersucht, wie etwa Dax-Konzerne sich auf das neue Gesetz vorbereitet haben.

Die Befunde sind gemischt. Zwar erfüllten bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes rund zwei Drittel der Unternehmen die Anforderungen. Doch warnen die Autorinnen vor erheblichen Durchsetzungs- und Regulierungslücken – auch mit Blick auf die EU-Richtlinie. »Wie im Lieferkettengesetz ist keine Erfolgspflicht vorgesehen«, erklärt Beile im Gespräch mit »nd«. Es reiche, wenn die Unternehmen nachweisen, dass sie sich um die Einhaltung der Menschenrechts- und Umweltstandards bemüht haben.

Und die Richtlinie bringe zwar gegenüber dem bislang bestehenden deutschen Gesetz einige Vorteile mit sich, wie Beile betont. So werden nicht nur die Lieferketten, sondern es wird die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick genommen. Und es gibt eine zivilrechtliche Haftung, die derzeit nicht existiert. »Doch die Auswirkungen werden nicht so groß sein, wie sie hätten sein können«, bemängelt sie. Auch Standards beim Arbeitsschutz in den Fabriken und Anforderungen für die soziale Absicherung konkretisiert die Richtlinie nicht.

Insbesondere für die häufig nur informell beschäftigten Arbeiter*innen ist die Situation desolat, sagt die Gewerkschafterin Tithi Afrin im Gespräch mit »nd«. Sie ist Koordinatorin bei der Textilarbeiter*innengewerkschaft NGWF in Bangladesch. »Die Arbeit ist gefährlich, es gibt viele Unfälle in den Fabriken. Immer wieder sterben auch Beschäftigte aufgrund der gefährlichen Maschinen, die sie bedienen«, betont sie. Eine umfassende Unfallversicherung etwa, die Betroffene und Angehörige vor existenzieller Armut schützen könnte, fehlt auch elf Jahre nach der Katastrophe in Rana Plaza.

Darum setzt sich die Gewerkschafterin gemeinsam mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und mit zivilgesellschaftlichen Initiativen für ein soziales Absicherungssystem für Textilarbeiter*innen ein. Mit dem Pilotprojekt »Employment Injury Scheme« soll eine Unfallversicherung in der Textilbranche etabliert werden. Unternehmen, die sich daran beteiligen, zahlen in einen gemeinsamen Topf ein, der bestehende, aber viel zu niedrige nationale Vergütungen ergänzen soll.

Das Projekt wurde von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit lanciert und befinde sich derzeit in der Pilotphase, erklärt Gewerkschafterin Afrin. Aktuell gehe es noch darum, die Textilarbeiter*innen und Konzerne über das Vorhaben zu informieren und sie zur Teilnahme zu bewegen. Bislang haben sich rund 325 Fabriken bereit erklärt, in den Fonds einzuzahlen, darunter auch Lieferanten für internationale Unternehmen.

Um die Konzerne auch darüber hinaus dazu zu bringen, soziale Standards einzuhalten, organisieren Aktivist*innen zum Jahrestag der Katastrophe in Rana Plaza die sogenannte Fashion Revolution Week. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen und grundlegende Gewerkschaftsrechte für die Arbeiter*innen. Helfen könnte dabei künftig auch, trotz Verwässerung, die EU-Lieferkettenrichtlinie.

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