Teuer, aber nicht gut genug

Der neue Krankenhaus-Report findet erneut Qualitätsmängel in der stationären Versorgung

Hier wird ein Herzdefibrillator implantiert – das kann in Einzelfällen notwendig werden, wenn weitere Herzinfarkte verhindert werden sollen.
Hier wird ein Herzdefibrillator implantiert – das kann in Einzelfällen notwendig werden, wenn weitere Herzinfarkte verhindert werden sollen.

Schon seit Jahrzehnten hat die deutsche Krankenhausversorgung ein Qualitätsproblem. Das bestätigt zum wiederholten Male der am Mittwoch vom AOK-Bundesverband vorgestellte Krankenhaus-Report 2024 zum Thema Strukturreform. Zu den Herausgebern des 500 Seiten starken Bandes gehören mehrere Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido). Die erwähnten Qualitätsmängel lassen sich in mehreren Behandlungsfeldern nachweisen, darunter bei Krebserkrankungen und in der Notfallversorgung.

Brustkrebsoperationen sind ein Beispiel für die noch ungenügende Konzentration im deutschen Kliniksystem: Denn 95 der Krankenhäuser, die in Deutschland an der Versorgung dieser Patientinnen beteiligt sind, hatten im ganzen Jahr 2022 weniger als 25 dieser Eingriffe durchgeführt. »Das bedeutet, dass etwa alle zwei Wochen ein solcher Eingriff stattfand«, erläutert Christian Günster vom Wido. Von einem routinierten Behandlungsteam oder einer eingespielten Prozesskette könne man hier vermutlich nicht ausgehen.

Die Auswertung von Behandlungsdaten hat auch ergeben, dass 40 Prozent der an der Versorgung dieser Fälle beteiligten Kliniken kein geeignetes Zertifikat haben, etwa von der Deutschen Krebsgesellschaft. Diese Häuser operierten aber immer noch 13 Prozent der Fälle. Das heißt, dass über 9000 Frauen mit Brustkrebs nicht die optimale Versorgung erhielten. Außerdem gibt es hier noch große Unterschiede zwischen den Bundesländern. In Sachsen-Anhalt fand 2022 jede vierte Brustkrebs-OP in einer nicht zertifizierten Klinik statt, in Berlin waren das nur 0,2 Prozent. Ein Forschungsprojekt hatte 2022 ergebenen, dass die Behandlung in zertifizierten Zentren einen Überlebensvorteil von 20 Prozent für Brustkrebspatientinnen bringt. In dem konkreten Bereich geht die Konzentration der Behandlungskapazitäten schon einige Zeit voran. Die ab 2024 neu eingeführten Mindestmengen bei Brustkrebsoperationen werden weitere Fortschritte bringen, hofft der Mathematiker Günster, der am Wido die Qualitäts- und Versorgungsforschung leitet.

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Ein anderes gravierendes Beispiel, ebenfalls mit hohen Fallzahlen, betrifft die Versorgung von Menschen mit einem Herzinfarkt. Von den 191 000 Fällen bundesweit im Jahr 2022 wurden fast fünf Prozent in Kliniken behandelt, die kein Katheterlabor haben. Bei schweren Infarkten sollte innerhalb von 90 Minuten eine Herzkatheter-Behandlung erfolgen – in mindestens 9400 Fällen war das 2022 nicht gewährleistet. Hinzu kommen noch etliche Fälle, in denen der Infarkt zwar behandelt wurde, das Labor in den Krankenhäusern aber nicht rund um die Uhr betrieben wird.

Auch hier sind die Unterschiede zwischen den Ländern bezeichnend: In Hamburg darf der Rettungsdienst mit diesen Patienten nur Kliniken mit einem rund um die Uhr einsetzbaren Linksherzkathetermessplatz anfahren. Das gibt der Krankenhausplan der Hansestadt vor. Aufgefallen ist den Autoren des Krankenhaus-Reports nicht nur, dass auch 2022 wieder das Saarland das Schlusslicht in dieser Kategorie bildete: Hier wird noch jeder neunte Herzinfarkt in Häusern ohne Katheterlabor behandelt. Jedoch gibt es auch darüber hinaus bundesweit in 80 Städten ein Nebeneinander von Kliniken der Herzinfarktversorgung – sowohl mit als auch ohne Katheterlabor.

Gerade für diese Städte trifft zu, dass hier Strukturen finanziert werden, die nicht die beste Versorgungsqualität sichern. »Im internationalen Vergleich haben wir eines der teuersten Gesundheitssysteme, aber nur mit mittelmäßigen Ergebnissen«, fasst Jochen Schmitt das Problem zusammen. Der Mediziner ist Mitglied des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege. Er hat auch in dieser Funktion den Fortgang der aktuellen Krankenhausreform im Blick. Zur Ausgangslage gehören nicht nur Qualitätsmängel, sondern auch der anhaltende Rückgang von Fallzahlen insgesamt.

So lagen auch 2023 die stationären Fallzahlen unterhalb des Jahres 2019. Zurückzuführen ist das darauf, dass manche Erkrankungen (darunter HNO-Infektionen oder Leiden des Harnsystems) nicht zwingend im Krankenhaus behandelt werden müssen: Eine ambulante Versorgung ist gut möglich und wird offensichtlich von vielen Patienten seit der Pandemie bevorzugt. Werden diese sogenannten ambulant-sensitiven Fälle analysiert, gibt es hier nur bei den AOK-Fallzahlen 2023 in fünf großen Krankheitsgruppen ein Einsparpotenzial von 20 Prozent der stationären Fälle.

Der Fallzahlenrückgang hat laut Statistischem Bundesamt zudem dazu geführt, dass seit 2020 in jedem Jahr mindestens 30 Prozent der Klinikbetten nicht ausgelastet werden, das Personal dafür aber vorgehalten wird. Auch das ist ein weiterer Anreiz für die Reform und zugleich ein Signal dafür, dass eine Konzentration möglich ist.

Problematisch ist nicht nur die verzögerte Gesetzgebung. Krankenkassen wie die AOK befürchten, dass das Projekt in eine Finanzreform (zu Lasten der gesetzlich Versicherten) und in eine für später versprochene Strukturreform zerfällt. Absehbar hängt das an den Leistungsgruppen, nach denen die Krankenhausplanung der Länder in Zukunft erfolgen soll. Diese sollen erst Ende 2025 in einzelnen »Pionierländern« zugeordnet werden – solange bleiben die Krankenhäuser in Ungewissheit. Geld, unter anderem zur Refinanzierung von Tariferhöhungen, fließt aber schon vorher und weiter in ineffiziente Strukturen. Die gesetzlichen Kassen sind mit den Bundesländern einig, dass die Rechtsverordnungen zur Definition der Leistungsgruppen vorgezogen werden müssen.

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