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Ich kriege die Welt nicht rund

Der Künstler Ingo Mittelstaedt zeigt im Haus am Waldsee Werke des Sammlers Peter Raue

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf einem rot-blau gemusterten Teppich liegt ein großformatiger Fotodruck des »Medien-Bildhauers« Wolf Kahlen mit dem Titel »Vor-Bild, Nr.1, Rom«, der ein zunächst makelloses Ei zeigt, das letztlich doch zerborsten endet. Daneben eine stark abstrahierte Kopf-Plastik des Bildhauers Rainer Kriester, wie man sie ähnlich im - sinnig ausgerechnet dort aufgestellten - Bundeskanzleramt antrifft: Vernäht und verschnürt geben diese enigmatischen Stein-Zeugen wenig von sich preis. Dieser Eindruck wird verstärkt durch den Katalog zur Kriester-Einzelausstellung 1971 im nämlichen Haus am Waldsee: Aufgeschlagen ist das unbeschriebene Vorblatt. Flankiert wird das Ensemble von einer Pappverschalung, wie man sie zum Schutz von empfindlichem Computer-Zubehör verwendet. Bei näherer Betrachtung der vier ungleichen Objekte vermag der Besucher auch in der schnöden Pappe plötzlich ein Gesicht zu erblicken. Und vom Teppich lässt sich leichthin ein Bogen schlagen zum Buddhisten Kahlen. Dessen 1966 formuliertes Credo lautet: »Jede menschliche Erfahrungsebene ist als Kunstebene ausbaufähig, d. h. wesentlich. Mich interessieren diese Ebenen, nicht mediale Baustoffe eines Kunstwerks.« Einer solchen Egalisierung pflichtet auch Philipp Mittel- staedt - der 1978 in Berlin geborene Fotokünstler und Kurator - im Hinblick auf sein Arrangement bei: »Alles auf diesem Podest Liegende ist mir gleich wichtig.«

Peter Raue, der renommierte Berliner Rechtsanwalt und spätestens als »Mister Moma« ausgewiesene Kunstliebhaber, hat Ingo Mittelstaedt freie Hand gelassen bei der Auswahl wie Präsentation seiner gediegenen Kunstsammlung, wie sie nun im Haus am Waldsee erstmals zu bestaunen ist. Raue schätzt sich glücklich, dass drei seiner »Hausgötter« nun im Haus am Waldsee in einen neuen Dialog treten, nämlich Rebecca Horn, David Hockney und Marcel Broodthaers. Kaum noch überraschend ist, dass etliche der gezeigten Künstler in dem Museum bereits mit Einzelschauen bedacht worden sind, worauf die eingestreuten Kataloge verweisen. Ein passenderes Geschenk zum 70. Geburtstag des idyllisch am Waldsee gelegenen Hauses, das mit seinen mitunter provokanten Ausstellungen unsere Sehgewohnheiten unterläuft, ist kaum denkbar! Wie beim universell beliebten Partyspiel der »Stillen Post« - auf englisch »Chinese Whispering« umschrieben - wird die vorgefundene Kunst nun von Mittelstaedt diskret weitergereicht, ungewöhnlich arrangiert und damit einer schöpferischen »déformation professionelle« unterzogen. Als seinen Kerngedanken bezeichnet er: »Wie verändert die Umgebung das einzelne Kunstwerk?«

Nicht allein dank der geheimnisvoll zur Seite gelüpften cyanblauen Gardinen, die Mittelstaedt bedeutungsschwanger mit dem Adjektiv »savage« - mithin »wild« oder »schonungslos« - versiert, erinnert die aktuelle Schau an den Blick in eine Wunderkammer, deren geheime Bezüge sich der inspirierenden »ars combinatoria« verdanken. Vielleicht berufen sich Künstler wie Sammler aber auch auf die Devise »In vino veritas«. Hat doch Mittelstaedt auf seinem meterlangen Podest neben Gotthard Graubners »Kissenbild« - der Grundlage seiner magischen wie großformatigen »Farbraumkörper«, die sogar ihren repräsentativen Einzug gehalten haben ins Schloss Bellevue, platziert neben Marcel Broodthaers‘ »The Manuscript« - einer weißen Bordeauxflasche, in welche die Bezeichnung »Manuscript 1833« eingraviert ist nebst ihrer Kartonage mit dem dreisprachigen Aufdruck »The Manuscript found in a bottle«.

Aufmerksam auf Mittelstaedts Arbeiten wurde vor zwei Jahren Katja Blomberg, die Leiterin des »Hauses am Waldsee«, als diese in der Rostocker Kunsthalle produktive Tuchfühlung aufnahm mit Exponaten der dortigen Sammlung. Besonders faszinierte Blomberg, dass der Fotokünstler hier wie nun auch im Haus am Waldsee »die Hierarchien der Kunstgeschichte aufbricht und traditionelle Regeln musealer Ausstellungspraxis unterläuft«. Und es verwundert nicht, dass Mittelstaedt, der ursprünglich von der Performance kommt, Kunstwerke von Rebecca Horn einen kapitalen Auftritt überlässt. Da flattert verführerisch in Azzurro-Blau ihr Schmetterling des Multiples »Serafina’s Lover«, während der Bogen einer Violine ergebnislos ins Leere schwingt, matt zusammensackt. Mit ihren Film-Stills aus ihrer Regiearbeit »Buster’s Bed- room« und Repliken einer der Schönen von Fontainebleau, die sich im Kosmetikspiegel beäugt, reiht sich auch Horn ein in höchst produktive »Chinese Whispers«. Da betrieb der Dichter Wallace Stevence fraglos Understatement, wenn er sein Verfahren auf den Punkt brachte: »Ich kriege die Welt nicht rund und ganz, doch stückle ich sie, so gut ich kann.«

»Chinese Whispers« , Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Zehlendorf; www.hausamwaldsee.de

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