Türkische Justiz fordert fünf Jahre Gefängnis für HDP-Chef

Staatsanwaltschaft wirft Ko-Vorsitzendem Selahattin Demirtas »terroristische Propaganda« vor / Spitze der linken Oppositonspartei will im Land bleiben

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Istanbul. Die türkische Staatsanwaltschaft hat eine fünfjährige Gefängnisstrafe für den Ko-Vorsitzenden der »Demokratischen Partei der Völker« (HDP), Selahattin Demirtas, gefordert. Dem Abgeordneten und einem weiteren pro-kurdischen Politiker wird die Verbreitung von »terroristischer Propaganda« vorgeworfen, teilte die türkische »Dogan«-Nachrichtenagentur am Freitag mit. »Reuters« bestätigte die Meldung.

Laut der Anklageschrift soll Demirtas und der HDP-Abgeordnete Sirri Sureyya Onder in einer Vortragsreihe 2013 die verbotene »Arbeiterpartei Kurdistans« (PKK) sowie deren in der Türkei inhaftierten Anführer, Abdullah Ocalan, gelobt haben. Zum damaligen Zeitpunkt liefen noch Friedensgespräche zwischen der militanten PKK und der türkischen Regierung.

Mit der Forderung der Justiz werden nach umfangreichen »Säuberungen«, Verhaftungen und Entlassungswellen in der gesamten türkischen Gesellschaft nun auch offiziell Verfahren gegen Oppositionspolitiker eingeleitet. Wann ein möglicher Gerichtsprozess stattfindet, ist ungewiss. Zahlreiche türkische Gerichte sind mit Anklageerhebungen gegen vermeintliche Gülen-Anhänger und Erdogan-Kritikern beschäftigt. »Der Präsident wird die Stimmung in der türkischen Gesellschaft beobachten und danach entscheiden«, vermutet der kurdischstämmige LINKEN-Politiker Ferat Kocak aus Berlin gegenüber »nd«.

Die HDP-Abgeordneten hatten zuvor mehrmals angekündigt, im Falle von Gerichtsverhandlungen im Land bleiben zu wollen. »Ich gehe davon aus, dass die Parteispitze geschlossen hinter dieser Entscheidung stehen wird«, so Ferat Kocak. »Im kurdischen Freiheitskampf wurden bereits größere Opfer gebracht als ein Gefängnisaufenthalt.« Die Oppositionspolitiker der HDP erklärten ebenso, im Falle eines Prozesses keine freiwilligen Aussagen vor Gericht zu tätigen. Die Richter würden nicht mehr frei entscheiden können, kritisierten sie. »Die Justiz wird mittlerweile von Erdogan gelenkt«, sagte Kocak. »Von einer fairen Verhandlung kann nicht ausgegangen werden. Das wird ein Schauprozess.«

Der zweieinhalbjährige Waffenstillstand zwischen PKK und türkischer Regierung wurde im Sommer 2015 nach den Parlamentswahlen von Präsident Erdogan aufgekündigt. Die HDP hatte damals die für Parteien geltende Zehn-Prozent-Hürde überwunden und damit die Pläne des Staatsoberhauptes für die Errichtung eines Präsidialsystems zunächst verhindert. Seitdem gehen Militärs und Sicherheitskräfte mit schwerem Gerät im Südosten des Landes gegen kurdische Ortschaften vor. Militante Aktivisten und PKK-Kämpfer setzen sich zur Wehr.

Erst im Mai hatte das türkische Parlament eine Verfassungsänderung beschlossen, durch dazu führte, dass zahlreiche Abgeordnete ihre Immunität verloren haben, darunter auch vieler HDP-Politiker. Präsident Tayyip Erdogan galt als treibende Kraft hinter dieser Entscheidung. »Stellt sie vor Gericht, lasst sie den Preis bezahlen«, sagte der Staatschef über die kurdischen Abgeordneten. Das türkische Staatsoberhaupt wirft der HDP regelmäßig vor, über enge Verbindungen zur PKK zu verfügen. Diese weist die Anschuldigen zurück und tritt für neue Verhandlungen zur Beilegung der Auseinandersetzungen ein. Mit Agenturen

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