Dündar traut Erdogans Justiz nicht

Verurteilter Chefredakteur der »Cumhuriyet« tritt zurück und bleibt in Europa

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Can Dündar ist zurückgetreten. Damit signalisiert der derzeit wohl bekannteste Journalist des Landes, dass er nach dem Putschversuch und Erdogans Säuberung der Justiz nicht in die Heimat zurückkehren möchte. Er wird derzeit in Deutschland oder einem anderen europäischen Land vermutet. In der Türkei würde ihm nun neben dem Gericht auch die Regierung gegenüberstehen, so Dündar. »Einer solchen Justiz zu vertrauen, ist so, als würde man den Kopf unter die Guillotine legen«, schreibt Dündar in einer am Montag veröffentlichten Kolumne an seine Leser.

Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe, weil er in der »Cumhuriyet« Fotos von einer Waffenlieferung des türkischen Geheimdienstes (MIT) veröffentlicht hat. Gendarmen hatten drei von Mitarbeitern des MIT begleitete Lastwagen gestoppt, als sie zu einem Grenzübergang unterwegs waren, der einige Tage zuvor von Kämpfern des Islamischen Staates besetzt worden war.

Mit den Fotos hatte Dündar den Präsidenten Erdogan auch indirekt bei einer Lüge ertappt. Monatelang hatte dessen Pressesprecher nämlich behauptet, es habe sich bei dem gestoppten Konvoi nicht um Waffen, sondern um Hilfsgüter gehandelt. Nachdem die Fotos veröffentlicht waren, sagte Erdogan, es habe sich zwar um Waffen gehandelt, sie seien aber zum Schutz »turkmenischer Dörfer« in Syrien bestimmt gewesen. Can Dündar und seinen Kollegen Erdem Gül zeigte Erdogan unter anderem wegen Spionage persönlich an. Die Anklage lautete auf zweimal erschwerte lebenslängliche Haft.

Dündar und Gül mussten drei Monate lang in Untersuchungshaft. Dann hob das Verfassungsgericht diese Haft auf und berief sich in seinem Urteil auf die Pressefreiheit. Erdogan schäumte vor Wut und warf dem Gericht Verfassungsbruch vor. Am Morgen nach dem gescheiterten Militärputsch vom 17. Juli kam die Quittung. Zwei der Verfassungsrichter, die Dündar und Gül freigelassen hatten, wurden festgenommen. Zehn Tage später wurde der Staatsanwalt, der in seiner Anklage zweimal lebenslänglich für Dündar und Gül gefordert hatte, zum obersten Ankläger Istanbuls befördert.

Das Verfahren liegt nun beim Kassationsgericht. Doch auch gegen 140 Richter dieses Gerichts wurden Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation eröffnet; elf wurden festgenommen. Dündar macht sich auch Sorgen wegen des Ausnahmezustandes, der Entscheidungen der Regierung der richterlichen Kontrolle entzieht. In letzter Zeit häufen sich zudem Hinweise auf Folter in der Türkei. Das Fernsehen hat keine Bedenken, gefangene Putschisten in erniedrigenden Stellungen oder mit Verletzungen zu zeigen, die auf Misshandlung hindeuten. Das gab es nicht einmal nach dem Militärputsch 1980.

In der Türkei muss Dündar aber auch unmittelbar um seine persönliche Sicherheit fürchten. Er wurde mehrfach bedroht. Vor einer Gerichtsverhandlung versuchte ein Mann mit einer Pistole auf ihn zu schießen. Der Attentäter scheiterte nur, weil sich Dündars Ehefrau und ein anwesender Abgeordneter geistesgegenwärtig auf den Angreifer warfen.

Wie viele säkulare Journalisten hat Can Dündar jahrelang vor einer Unterwanderung des Staatsapparates durch die Sekte des pensionierten Predigers Fethullah Gülen gewarnt. Mittlerweile macht Erdogan Gülen sogar für den gescheiterten Putschversuch verantwortlich. Gegenüber kritischen Journalisten wie Dündar ist er deshalb aber noch lange nicht nachsichtiger geworden.

Kritisch hat sich Can Dündar auch mehrfach zur Türkeipolitik der EU und insbesondere Angela Merkel geäußert. Verschiedentlich hat er erzählt, wie er in der Gefängniszelle im Fernsehen die Pressekonferenz Angela Merkels mit dem damaligen Regierungschef Ahmet Davutoglu verfolgt habe. Auf die Frage nach inhaftierten Journalisten, habe Davutoglu gesagt, dass es in der Türkei keine gebe - und Merkel habe dazu einfach geschwiegen.

Auch wenn er nicht mehr als Chefredakteur schreiben kann, so will Can Dündar seine Kolumne in der »Cumhuriyet« weiterführen. Unabhängiger Journalismus ist in der Türkei fast nur noch vom Ausland aus möglich - so lange die Zeitung nicht ganz dichtgemacht wird, wie es bereits bei 45 Blättern seit Beginn des Ausnahmezustandes und schon zuvor bei etlichen anderen der Fall war.

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