Deutsche Behörden verschicken verstärkt »Stille SMS«

Nutzung durch Bundespolizei und Verfassungsschutz angestiegen / Linkspartei: Vermutlich Einsatz gegen Fluchthelfer

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Deutsche Behörden nutzen verstärkt sogenannte Stille SMS. In den ersten sechs Monaten diesen Jahres wurden rund 211.000 Einheiten versandt. Die Zahlen gehen aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage von den Abgeordneten Andrej Hunko und Jan Korte von der Linksfraktion im Bundestag hervor. Der Blog »Netzpolitik.org« hatte bereits darüber berichtet. Stille SMS werden heimlich an die Smartphones der Empfänger versendet, um deren Aufenthaltsort zu lokalisieren oder bei längerfristiger Nutzung Bewegungsprofile der Zielpersonen zu erstellen.

Die Bundespolizei verschickte demnach mit 92.000 Nachrichten rund doppelt so viele SMS wie noch im letzten Halbjahr 2015. Die Nutzung durch den Verfassungsschutz hat mit 72.000 Mitteilungen knapp um die Hälfte zugenommen. Lediglich die Zahlen des Bundeskriminalamtes sind auf 47.000 zurückgegangen, liegen aber immer noch auf einem hohen Niveau im Vergleich zu den Vorjahren. Der Rückgang ergibt sich hier vor allem aus der außerordentlich hohen Nutzung durch das BKA im letzten Halbjahr 2015.

»Auf Seiten des Verfassungsschutzes dürfte die Zunahme auf die heimliche Verfolgung sogenannter ausländischer Kämpfer sowie ihrer Kontaktpersonen zurückgehen«, vermutet Andrej Hunko, der die Zahlen halbjährlich von der Bundesregierung abfragt. »Unerklärlich ist jedoch die großzügige Verdoppelung bei der Bundespolizei. Ich vermute, dass nach der jüngsten Änderung des ‚Anti-Terror-Gesetzes’ vor allem Fluchthelfer betroffen sind.« Stille SMS ermöglichen nach Meinung des Innenexperten auch verdeckte Ermittlungen gegen Unterstützer von Geflüchteten. Das Bundesinnenministerium macht gegenüber Hunko keine Angaben über die Gründe der Anstiege. Auch wird nicht erläutert, inwiefern die Überwachungsmaßnahmen Straftaten verhindern konnten.

Der linke Abgeordnete wies auf den rechtsstaatlich problematischen Umstand hin, dass Betroffene gegen stille SMS nicht klagen können, da sie von der Spitzelei im Normalfall gar nichts erfahren. Überwachte Personen seien bisher nicht informiert worden, da es sich um laufende Ermittlungen handele, erklärte die Regierung in ihrer Antwort. Ob nach abgeschlossen Untersuchungen Betroffene informiert wurden, ist nicht bekannt. »Als erster Schritt muss deshalb sofort eine Benachrichtigungspflicht der Ausgeforschten eingeführt werden«, fordert Hunko. Die Regierung müsse zudem auch die Nutzungszahlen des Zolls und des Bundesnachrichtendienstes öffentlich benennen.

Aus Sicht der Linkspartei sind die heimlichen Textnachrichten rechtswidrig, da Polizei und Geheimdienste nach geltendem Recht nur »passiv« abhören dürfen. Stille SMS seien aber ein »aktiver« Vorgang und würden demnach eine intransparente Rechtslücke ausnutzen. Hunko forderte eine unabhängige Überprüfung der juristischen Grundlage: »Handys sind zum Telefonieren da, nicht um deren Besitzer heimlich zu verfolgen.«

Stille SMS werden darüber hinaus auch auf Länderebene gerne genutzt. Laut einer Antwort auf die Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Christopher Lauer hat alleine die Berliner Polizei im Jahr 2015 fast 138.000 der heimlichen Nachrichten verschickt. Bayrische Behörden nutzten 2013 ganze 654.386 »Ortungsimpulse«.

In der Antwort auf Hunkos Anfrage wurde auch auf weitere Spitzeltechnik eingegangen. So nutzten die Bundesbehörden sogenannte IMSI-Catcher. Sie ermöglichen das Orten eines Mobiltelefons sowie das Abhören von Gesprächen. Die Nutzungszahlen hatten sich hier kaum verändert. Das BKA griff 23 Mal darauf zurück und die Bundespolizei 36 Mal.

Funkzellenabfragen wiederum wurden durch das BKA einmal, durch die Bundespolizei 38 Mal und durch den Zoll 101 Mal durchgeführt. Die Behörden fragen hierbei Verbindungsdaten ab, die in einer bestimmten, räumlichen Funkzelle in einem bestimmten Zeitraum anfallen. Behörden brachten die Technik bereits gegen linke Demonstranten bei Anti-Nazi-Protesten in Dresden 2011 großflächig zum Einsatz. Zur Verwendung sogenannter Staatstrojaner wollte das Ministerium in öffentlicher Form keine Angaben machen.

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