Museumsbesuch im Plattenbau

DDR Museum zeigt in neuem Ausstellungsteil eine nachgebaute WBS-70-Wohnung

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.

Natürlich darf die Goldene Hausnummer nicht fehlen. Das speziell angefertigte Schild wurde zu DDR-Zeiten an vorbildliche Hausgemeinschaften verliehen. Glänzend prangt die Ziffer »84« am Ausstellungseingang, darunter eine Klingelkonsole mit zwölf Namen und gleich daneben der Fahrstuhlknopf.

Wer möchte, drückt einmal kräftig drauf, und schon öffnet sich die Aufzugstür. Im Innern ist es sehr geräumig. So groß waren die Fahrstühle in den WBS-70-Bauten doch nicht? »Richtig«, sagt Melanie Alperstaedt, Sprecherin des privat geführten DDR Museums, das in einem neuen Ausstellungsteil diesen authentischen DDR-Wohnungstyp rekonstruiert hat. »Wir brauchen aber diesen Platz, damit ganze Gruppen bequem die Fahrt in die sechste Etage des Neubaus schaffen.«

Der Boden wackelt unter den Füßen, es rumpelt, es knattert, es rauscht. Der Aufstieg beginnt. Als sich die Türen öffnen, steht der Besucher mittendrin in der nachgebauten Wohnung und kann sich auf eine spannende Zeitreise begeben. Insgesamt 270 Quadratmeter haben die Ausstellungsmacher nicht nur mit originalen Einrichtungsgegenständen gefüllt, sondern mit interaktiven Angeboten, Spielen und unterhaltsam aufbereiteten Informationen über das DDR-Alltagsleben ergänzt. »Geschichte zum Anfassen und Entdecken«, sagt Kuratorin Elke Sieber.

In jedem Raum dürfen Schränke geöffnet, Schubladen herausgezogen und hochmoderne Multi-Touch-Screens berührt werden. Im Kühlschrank steht unter anderem ein Sahnesyphon. Wer auf das dazugehörende Feld auf dem Monitor klickt, bekommt prompt Informationen zur Fettleibigkeit in der DDR: Demnach gab es keine Unterschiede zwischen Männern im Osten und im Westen.

Im Schlafzimmer erfährt der Besucher jede Menge über Fragen zu Ehe und Familiengründung. »Auf die Bettdecke projizieren wir Statistiken zur Sexualität, und in der Kommode sind Zahlen zur Geburten- und Scheidungsrate zu finden«, berichtet die Kuratorin.

Zu den Highlights gehört der digitale Kleiderschrank. Nach Lust und Laune können Alltagsklamotten herausgesucht, virtuell anprobiert und in einem speziellen Spiegel betrachtet werden.

Im Wohnzimmer mit der großgemusterten Tapete, der gemütlichen Couch und der Karat-Schrankwand liegt Literatur aus, die es zu DDR-Zeiten nur unter dem Ladentisch gab oder die verboten war. Auch typische Festutensilien werden hier gezeigt. Ergänzt werden die Ausstellungsgegenstände mit Angaben zum Problem der Wohnraumbeschaffung. Ein im MuFuTi (Multifunktionstisch) eingelassener Bildschirm ermöglicht es zudem, flexibel Ausschnitte aus dem Ost- und West-Fernsehprogramm des Jahres 1984 auf dem großen Fernseher anzuschauen.

Spannend ist der Blick aus den virtuellen Museumsfenstern, deren Rahmen von einem abgetragenen DDR-Plattenbau stammen. Simuliert wird eine Neubausiedlung: mit Anwohnern, die gerade einparken oder Wäsche aufhängen. Verschiedene Wetterszenarien und Tageszeiten machen die Illusion perfekt.

Gemeinsam mit einem Team aus Ost- und West-Mitarbeitern entwickelte die Kuratorin in den vergangenen eineinhalb Jahren den neuen Ausstellungsteil. Zu finden ist er dort, wo bislang das DDR-Restaurant untergebracht war. »Wir haben gemerkt, dass sich die Besucher besonders für das Alltagsleben interessieren«, begründet Melanie Alperstaedt den Umbau.

Zur Dreiraumwohnung gehören außerdem noch eine Garage und ein Stasi-Abhörraum: Ein Büro, mit Schreibtisch, mehreren Kassetten, einer Schreibmaschine und Kopfhörern, die der Besucher aufsetzen soll: Über Mikrofone in den Wohnräumen können so Gespräche anderer Gäste der Ausstellung belauscht werden. Für viele ehemalige DDR-Bürger wird dies wahrscheinlich ein Wermutstropfen zum ansonsten sehr realistisch dargestellten Leben im Plattenbau sein. Dass anscheinend das Klischee vom detailliert überwachten Staat bedient werden soll, will Kuratorin Sieber aber nicht so verstanden wissen: »Wir möchten vielmehr ein Gefühl vermitteln, dass ein DDR-Bürger eben nicht alles laut sagen durfte, was er dachte.«

Veränderungen wird es in den kommenden Monaten auch im Rest des Museums geben. Es wird in drei Bereiche gegliedert: Politisches - Privates - Öffentliches.

DDR Museum, Karl-Liebknecht-Straße 1, Telefon: 847123734, www.ddr-museum.de

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