Gysi: Das ist eine »faktische Distanzierung«

Streit um Haltung der Bundesregierung zur Armenien-Resolution / Sprecher: Distanzieren uns nicht, Bundestagsbeschluss aber nicht »rechtlich verbindlich«

  • Lesedauer: 3 Min.

Update 14.20 Uhr: Gysi: Das ist eine faktische Distanzierung
Der langjährige Linksfraktionschef Gregor Gysi hat die Stellungnahme von Regierungssprecher Steffen Seibert zur Armenien-Resolution des Bundestages als »faktische Distanzierung« von dem Parlamentsbeschluss gewertet. Offensichtlich handelt die Bundesregierung »auf Druck von Erdogan«, sagte er dem Sender SWRinfo. Anders seien Seiberts Äußerungen zur fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit der Resolution nicht erklärbar. Seibert hatte zuvor Berichte zurückgewiesen, die Bundesregierung gehe auf Wunsch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf Distanz zu der Resolution, in der die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges als Völkermord eingestuft werden. Der Regierungssprecher hatte aber hervorgehoben, dass der Beschluss auch nach Darstellung des Bundestages ebenso wie andere Resolutionen des Parlaments keine rechtliche Verbindlichkeit habe. Gysi sagte dazu, es habe keinen Anlass gegeben, warum Seibert dazu Stellung nehmen sollte - es sei denn, um einem Wunsch Erdogans nachzukommen. Die Türkei hatte den Bundestagsbeschluss vom 2. Juni scharf verurteilt.

Regierung distanziert sich nicht von Armenien-Resolution

Berlin. Die Bundesregierung will nicht auf Distanz zur umstrittenen Armenien-Resolution des Bundestages gehen. »Davon kann überhaupt keine Rede sein«, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag zur Haltung von Kanzlerin Merkel und ihres Kabinetts mit Blick auf einen anderslautenden Medienbericht. Zugleich verwies Seibert darauf, dass solche Resolutionen des Parlaments nicht »rechtlich verbindlich« seien. Die Anfang Juni verabschiedete Erklärung, in der von Völkermord die Rede ist, hatte massive Kritik aus Ankara zur Folge.

»Spiegel Online« hatte berichtet, Auswärtiges Amt und Kanzleramt hätten sich darauf geeinigt, dass Seibert vor die Presse treten und sich im Namen der Regierung von der Resolution distanzieren solle.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte am Freitagmorgen nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Berlin: »Der Deutsche Bundestag hat jedes Recht und die Freiheit, sich zu politischen Fragen zu äußern.« Der Bundestag sage aber auch selbst, dass »nicht jede Resolution einen rechtliche Bindung« habe. Ein Außenamtssprecher sagte später: »Herr Steinmeier stand, er steht und er wird zu der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages stehen.«

In der Resolution des Parlaments von Anfang Juni werden die Verbrechen an den Armeniern im Ersten Weltkrieg mit - nach Historiker-Schätzungen - bis zu 1,5 Millionen Toten als Völkermord eingestuft. Die deswegen verärgerte Türkei verweigert deutschen Abgeordneten seit Verabschiedung des Papiers den Besuch bei den in Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten.

In der Unionsfraktion lösten die Berichte am Morgen Irritationen aus. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Stephan Harbarth sagte vor Beginn einer Sitzung: »Die Position der Unionsfraktion bleibt unverändert.« Im Fraktionsvorstand hieß es, eine Distanzierung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wäre »das völlig falsche Signal« an den türkischen Präsidenten Tayyip Recep Erdogan, der vor allem türkischstämmige Bundestagsabgeordnete nach der Resolution persönlich angegriffen hatte.

Merkel hatte seinerzeit zwar an der Abstimmung im Bundestag nicht teilgenommen, bei der vorherigen Probeabstimmung in der Fraktion aber mit den Abgeordneten für die Resolution gestimmt. Eine Regierungssprecherin hatte damals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Merkel die Resolution unterstützt habe. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und Außenminister Steinmeier nahmen an der Abstimmung im Juni nicht teil.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig lehnte eine Distanzierung von der Resolution ebenfalls ab. »Davon halte ich gar nichts«, sagte sie dem Sender N24.

Die Bundeswehr hat in Incirlik im Süden der Türkei mehr als 200 Soldaten sowie sechs Tornado-Aufklärungsjets und ein Tankflugzeug stationiert. Sie sollen den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unterstützen. Zuletzt hatte die Bundesregierung betont, sie wolle sich im Streit mit der Türkei über das Besuchsverbot nicht unter Druck setzen lassen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte zuvor in Ankara ein deutsches Entgegenkommen in der Frage der Armenien-Resolution zur Bedingung für eine Lösung des Incirlik-Streits gemacht. dpa/nd

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