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»Sündi«: Räumung am Tagebau Hambach

Besetztes »Sündenwäldchen« muss künftigem Seeufer weichen

Am frühen Dienstagmorgen begann der Polizeieinsatz im »Sündi«.
Am frühen Dienstagmorgen begann der Polizeieinsatz im »Sündi«.

Dienstagfrüh um 6.54 Uhr veröffentlichen die Aktivist*innen vom Sündenwäldchen ein Drohnenvideo. Es zeigt einen Sammelplatz von Forstarbeiter*innen und Sicherheitsleuten nahe am Tagebau Hambach. Baumaschinen sind zu sehen und zahlreiche Sicherheitsleute in gelben Leibchen, die augenscheinlich eine Besprechung abhalten. Was das und die wachsende Polizeipräsenz in ihrem Umfeld für die Waldbesetzer*innen bedeutet, ist schnell klar: Räumung.

Das Sündenwäldchen, auch Sündi genannt, ist ein kleines Waldstück am Tagebau Hambach im Rheinischen Braunkohlerevier. Seit weit mehr als einem Jahr leben Klimaaktivist*innen im Sündi, haben Baumhäuser und Plattformen gebaut und wollen verhindern, dass RWE den Wald rodet und den Boden darunter abbaggert. Um Kohle geht es dabei nicht mehr. Mit der Abbaggerung soll im Tagebau Hambach 2029 Schluss sein. Boden und Kies unter dem Sündenwäldchen werden dafür gebraucht, um die Böschungen des Sees zu gestalten, der ab 2030 das riesige Braunkohleloch ersetzen soll. »Hinter all den Vorwänden verbirgt sich der perfide Plan von RWE, mit dem Bild eines Tagebausees mit Luxushafen und künstlichen Inseln Geld zu machen. Für Träume von Superreichen werden hier Menschen vertrieben und ein wertvolles Ökosystem unwiederbringlich zerstört«, erklärt ein Sündi-Besetzer, der sich Mike nennt.

»Seit Jahrzehnten werden hier im Revier Konzerninteressen mit dem Ziel der Profitmaximierung auch mithilfe der Staatsgewalt durchgeboxt.«

Fabian Fahl Bundestagsabgeordneter Die Linke

Andere vermuten noch weitergehende Pläne. Susanne, Teilnehmerin einer Mahnwache für das Sündenwäldchen, sieht die Gefahr, dass durch die Abbaggerung des Sündenwäldchens auch der benachbarte Hambacher Forst austrocknen könnte. »Das ist die Absicht von RWE, denn unter dem Hambacher Wald liegt noch eine Milliarde Tonnen Braunkohle. Der Kohleausstieg 2030 ist unverbindlich vereinbart und bisher wurden keine Gaskraftwerke geplant und gebaut, sodass der Kohleausstieg in weite Ferne rückt.«

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Fabian Fahl stammt aus Aachen, vor seinem Einzug in den Bundestag hat er zum Strukturwandel im Rheinischen Revier geforscht und auch im Hambacher Forst und in Lützerath protestiert. Den Einsatz am Sündenwäldchen ordnet er als Teil des »perfiden Geschäftsmodells« von RWE ein. »Seit Jahrzehnten werden hier im Revier über die Köpfe der Menschen hinweg und auf Kosten der Natur Konzerninteressen mit dem Ziel der Profitmaximierung auch mithilfe der Staatsgewalt durchgeboxt«, so der Bundestagsabgeordnete. RWE komme der Verpflichtung, den Tagebau zu renaturieren nach, sei dabei aber der Profitlogik verpflichtet: »Und da die Dividenden der Aktionär*innen an oberster Stelle stehen, muss es dieser Logik folgend der günstigste Weg sein. Das bedeutet in dem Fall, einfach einen See aus dem Areal zu machen.«

Als Parlamentarischer Beobachter war Fahl am Dienstag ab 5 Uhr in der Früh am Sündenwäldchen. Im Gespräch mit »nd« erzählt er, wie da noch alles ruhig gewesen sei. Inzwischen sei es eine »wahnsinnige Materialschlacht«, mit Kränen, Hubsteigern, Spezialeinheiten der Polizei und privaten Sicherheitsleuten. Von seinem Beobachtungspunkt aus hat Fahl den Eindruck von einer »routiniert« arbeitenden Polizei. Alles wirke relativ ruhig. Im Sündenwäldchen habe es etwa zehn Bauten gegeben, von denen nicht alle besetzt gewesen seien. Fahl geht davon aus, dass die Polizei den Räumungseinsatz am Dienstag beenden wird.

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Auch die Besetzer*innen des Sündi berichten bis zum frühen Nachmittag von der Räumung zahlreicher Strukturen. Mindestens einmal habe die Polizei dabei Schmerzgriffe angewendet, heißt es in einer Mitteilung. Zu Gewaltexzessen oder Unfällen kommt es bis zum Nachmittag aber nicht.

Noch am Morgen hatte Andreas Büttgen von der Bürgerinitiative Buirer für Buir einen Wunsch geäußert: »Ich hoffe sehr, dass bei der Räumung keine Menschen zu Schaden kommen. Es hat genug Tote und traumatisierte Menschen im Konflikt um die Kohle gegeben.« Büttgen weiß, wovon er spricht, die Bürgerinitiative kämpft seit Jahren für den Erhalt des Hambacher Forsts und seine Vernetzung mit benachbarten Waldstücken wie dem Sündenwäldchen.

Jetzt ist der Sündi auch geräumt. War der Protest also umsonst? Büttgen sagt Nein, man habe »den Finger in die Wunde der fortlaufenden Zerstörung von Zukunftsperspektiven für schmutzige Braunkohle« gelegt. Und die Proteste hätten immer wieder »schonungslos aufgedeckt«, wie Grundrechte zugunsten von Konzerninteressen »zurückgestellt« würden.

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