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Früchte des Brexit-Zorns

Ein Mord und der drastische Anstieg polenfeindlicher Übergriffe in Großbritannien alarmierte Warschauer Minister

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach dem Brexit-Votum im Juni zeigt die britische Gesellschaft derzeit ihr wohl hässlichstes Gesicht. Jüngste Ereignisse in England stützen die Vermutung, dass es auf der Insel zu einer Entladung nationalistisch motivierter Bedrohungen kommt.

Opfer sind in der Regel britische Muslime, vor allem aber auch Polen. Mehr als 850 000 Menschen aus Ostmitteleuropa kamen seit dem EU-Beitritt des Landes auf die Insel, nun werden sie Ziel ausländerfeindlicher Attacken. Offenbar erntet Nigel Farage, Ex-Chef der rechtsradikalen UKIP-Partei, was er während des Brexit-Wahlkampfs selbst gesät hat. Der EU-Abgeordnete fiel immer wieder mit antipolnischen Tiraden auf.

Seit dem Entscheid über das EU-Aus der Briten wurden Hunderte teilweise schwere Übergriffe gegen Zuwanderer registriert. Kneipen-Prügeleien sowie Schmierereien an polnischen Kulturzentren, wie z. B. im Londoner Stadtteil Hammersmith (»Geh nach Hause, polnischer Abschaum«), gehörten zur Tagesordnung.

Das ist allerdings nichts im Vergleich zu dem, was am 28. August im südostenglischen Harlow geschah. Der 40-jährige Arkadiusz Jozwik wurde von einer Gruppe britischer Jugendlicher derart zugerichtet, dass er in einem Krankenhaus seinen Verletzungen erlag. Wenn auch ein fremdenfeindliches Motiv noch nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte, liegt dies angesichts des drastischen Anstiegs polenfeindlicher Übergriffe im Sommer jedoch auf der Hand.

In den Fall der Ermordung Jozwiks hat sich nun parallel zu den britischen Behörden auch die polnische Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Regierung in Warschau unterstrich mit der Entsendung zweier Minister nach London, wie ernst sie den Vorfall nimmt. »Wir hoffen, dass die britische Regierung und die Sicherheitsorgane künftig die hier lebende polnische Community besser beschützen, so dass sich derartige Vorfälle nicht wiederholen«, sagte Polens Außenminister Witold Waszczykowski nach einem Gespräch mit seinem Amtskollegen Boris Johnson.

Der Mord löste auch bei vielen Briten schieres Entsetzen aus. Am vergangenen Wochenende versammelten sich in Harlow mehrere hundert Menschen zu einer Mahnwache, darunter viele Engländer aus der Umgebung und Polen aus anderen Teilen Großbritanniens. Dennoch stießen weder dieser stille Protest noch der Besuch von Waszczykowski und Błaszczak auf lebhaftes Echo. Kein einziger britischer Regierungspolitiker war auf der Trauerkundgebung zugegen.

Stunden danach kam es in Harlow erneut zu einer Gewalttat: Zwei Polen wurden vor einem Pub von fünf jungen Männern krankenhausreif geschlagen. Zwar versicherte Chefdiplomat Johnson bei seinem Besuch in Warschau, in Großbritannien sei »kein Platz für Fremdenfeindlichkeit« und »jeder Pole willkommen«. Dies ändert jedoch nichts daran, dass er während der Brexit-Kampagne zuweilen in die gleiche Kerbe schlug, wie der unrühmliche Farage.

Die im fernen China weilende Theresa May interessierten die Ereignisse von Harlow kaum. Während ihrer Pressekonferenz bekräftigte die britische Premierministerin, sie wolle dem Wunsch ihrer Wähler nach »mehr Kontrolle« über die Einwanderung aus der EU auf jeden Fall entsprechen. Die fremdenfeindlichen Übergriffe in England blieben unkommentiert.

Dabei warnen Experten vor negativen Folgen für die britische Wirtschaft, sollten im Zuge eines faktischen Brexits die Arbeitsmöglichkeiten der Polen im Königreich eingeschränkt werden. Jan Zylinski, der einst Nigel Farage zu einem »Säbel-Duell« aufrief, warnte bereits vor einigen Monaten: »Bitte hört auf, die Polen niederzumachen. So wie 1940 polnische Piloten dieses Land retteten, so tun es gegenwärtig polnische Mädchen bei Starbucks und unsere Jungs auf der Baustelle«, sagte der britische Geschäftsmann mit polnischen Wurzeln. Die jüngsten Vorfälle in Südostengland zeigen jedoch, dass große Teile der britischen Gesellschaft für solcherlei Argumente nicht mehr empfänglich sind.

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